Sendung: „Mein EU-Abgeordneter und ich – realer oder virtueller Dialog?“
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Unsere französischen Projektpartner vom Yvelines Radio waren Gastgeber einer Diskussionsrunde, die Anfang April in Versailles durchgeführt wurde. Es ging um die Teilnahme an den bevorstehenden Europawahlen. Zum gleichen Thema fand auch eine Diskussion im Gebäude des Europäischen Parlaments in Paris statt, an der sich Experten, Journalistikstudenten und deren Lehrer beteiligten. Im Folgenden wollen wir einige der Meinungen vorstellen, die auf beiden Zusammenkünften geäußert wurden.
Jean-Marc Bartin ist Intendant des Yvelines Radios. Er ist fest der Überzeugung, dass die Medien für den Kontakt zwischen Europaabgeordnete und Bürger sorgen müssen. Entsprechend dieser Ansicht werden die Programme dieses Senders gestaltet.
„Seit vier Jahren wenden wir uns verstärkt der europäischen Thematik zu und werden in den Tagen vor den Europawahlen zusätzliche Sendungen gestalten, da wir unsere Hörer davon überzeugen wollen, zu den Wahlurnen zu gehen“, sagt Bartin und klagt: „Leider sehen sich die Franzosen nicht motiviert, wählen zu gehen. Sobald es um Europa gehet, sind die Botschaften irgendwie trocken und protokollhaft. Da sich also die Bürger weniger für die europäischen Belange interessieren, werden sie auch von den Medien in den Hintergrund verdrängt. Und da haben wir schon den Teufelskreis. Europa erscheint uns somit unendlich weit entfernt. Wir kennen weder unsere Europaabgeordnete, noch wissen wir, wie wir mit ihnen in Kontakt treten können und sie ihrerseits, schenken den Bürgern auch kaum Interesse. Die derzeitige Wirtschaftskrise fügt das ihrige hinzu und so lesen wir in den Zeitungen vorrangig über die Krise. Ich denke, dass wir aber dennoch wählen gehen müssen, denn andernfalls werden andere für uns entscheiden. Wir dürfen nicht vergessen, dass sich die Demokratie nur dann erschöpft, wenn sie nicht genutzt wird.“
Die von Radiointendant Bartin geschilderte Lage wird von Catherine Mutel bestätigt. Sie vertrat in den Diskussionen die Vereinigung der kleinen und mittleren Unternehmen Frankreichs.
„Ich muss leider zugeben, dass ich meinen Europaabgeordneten nicht kenne, mich mit ihm also bislang nicht getroffen habe. Dieses Problem steht sowohl vor den Unternehmen, die ich vertrete, als auch vor den gewöhnlichen Bürgern, die wirklich nicht wissen, womit sich ein Europaabgeordneter befasst und welche Ziele er verfolgt“, sagt Catherine Mutel. „Es fehlt also an Information und auch an Kommunikation. Gleichzeitig sind wir uns aber bewusst, dass ein Grossteil der EU-Gesetze in Brüssel geschmiedet wird, wo Entscheidungen für unsere Zukunft fallen.“
Wie ist es in diesem Zusammenhang um der Rolle der Frauen bestellt? Findet ihre Stimme in den EU-Institutionen Gehör?
„Derzeit arbeiten wir gerade zu diesem Thema mit dem Wirtschafts- und Sozialrat zusammen. In seinem Namen führen wir eine Unfrage unter den Unternehmerinnen in den EU-Ländern durch“, sagt die Vertreterin der Vereinigung der kleinen und mittleren Unternehmen Frankreichs. „Die Frauen müssen verstärkt in der Geschäftwelt vertreten sein und aus diesem Grund muss ihnen beispielsweise der Zugang zu Krediten erleichtert werden. Das gilt genauso aber auch für ihren Alltag in der Familie. Es muss also ein Gleichgewicht zwischen Berufsleben und Familie gefunden werden. Der Arbeitstag einer Frau ist in der Praxis bedeutend länger, als der ihrer männlichen Kollegen. Wir wollen nun aus allen Programmen, die in den EU-Ländern laufen, die besten Momente auslesen und hoffen, dass diese Erfahrungen den Geschäftsfrauen helfen werden, ihr Selbstbewusstsein zu heben.“
Unter den Teilnehmern an den Diskussionen in Versailles und Paris war auch der Sieger des Preisausschreibens, das zum Thema „Europawahlen 2009 – Jenseits von Würfelzucker“ veranstaltet wurde. Sein Name lautet Matthew Ruschworth. Seine ersten Worte sagte er auf Französisch, obwohl seine Muttersprache Englisch ist:
„Ich freue mich, dass ich das Preisausschreiben gewonnen habe, da aber das Thema sehr wichtig ist, will ich lieber auf Englisch fortsetzen...“
„Die Europawahlen am Ende der tschechischen Ratspräsidentschaft im Juni kennzeichnen das Ende eines für die Europäische Union schweren Jahrzehnts – die Länder sind sich uneinig über die Einsätze im Irak, die Europäsche Verfassung und den Vertrag von Lissabon“, sagt Matthew Ruschworth. „Hinzu kommen die Wirtschafts- und Finanzkrise und die Frage nach der Fortsetzung der EU-Erweiterung. All das behindert die Zusammenarbeit. Die EU will nicht etwa die nationalen Parlamente ihrer Funktionen berauben. Es gibt aber Bereiche, in denen die EU nicht gut funktioniert, wie Umweltschutz, Energiewesen, einschließlich Nutzung der Kernenergie, Arbeitsgesetzgebung und Glaubensfragen... Deshalb müssen wir uns an den Wahlen beteiligen, vor allem die jüngeren Menschen, damit Europa besser zu arbeiten beginnt. Die kommenden Wahlen werden entsprechend dem Vertrag von Nizza stattfinden. Sobald aber der Vertrag von Lissabon verabschiedet ist, denke ich, dass sich Europa in einer bestmöglichen Position befinden wird. Die Erweiterung der Prozedur der gemeinsamen Beschlussfassung wir weitere Vollmachen gewähren und damit Europa stärken. Allein aus diesem Grund müssen wir im Juni zu den Urnen gehen.“
Die Europawahlen werden in diesem Jahr von der Weltwirtschafts- und Finanzkrise überschattet. Wird uns die Krise unter kriegen, oder werden wir sie bewältigen? Wird es der Alte Kontinent schaffen, daraus vereinter hervorzugehen? Mit diesen Fragen wandten wir uns an Alain Barrau. Er ist Direktor des Informationsbüros des Europaparlaments in Paris.
„Das Wichtigste ist im Augenblick die Völker Europas davon zu überzeugen, dass wir nur mit vereinten Kräften die Krise überstehen können. Das verlangt gleichzeitig aber auch, dass Europa möglichst schnell den Erwartungen seiner Bürger entsprechen muss“, sagt Barrau. „Europa muss anpassungsfähiger werden und rechtzeitig auf Herausforderungen reagieren. Den bevorstehenden Wahlen kommt eine Schlüsselrolle zu und obwohl in der Union Meinungsverschiedenheiten herrschen, dürfen uns diese nicht von unserem Weg abbringen.“
Wird in diesem Zusammenhang ein Stopp der Erweiterung eintreten, oder wird die Union weiter ins Ungewisse wachsen?
„Es herrscht in EU-Kreisen keine einhellige Meinung dazu. Wie bekannt gehen die Aufnahmeverhandlungen weiter. Da uns aber die Wirtschaftskrise im Nacken sitzt, sind viele der Ansicht, dass wir vorerst abwarten müssen, bis die Dinge wieder aufwärts gehen, bevor wir die nächste Erweiterung ins Visier nehmen“, sagt der Direktor des Informationsbüros des Europaparlaments in Paris. „Die Mehrheit im Europaparlament ist dieser Ansicht. Die Erweiterung wird also auf Grund der Krise ins Stocken geraten. Wir sind mittlerweile auf 27 Mitgliedsländer angewachsen und ich persönlich bin der Ansicht, dass wir erst einmal unsere Positionen festigen, unsere wirtschaftlichen, institutionellen, sozialen und andere Unstimmigkeiten glätten müssen, bevor wir an die nächste Erweiterung herangehen können. Die Tore der Europäischen Union stehen aber nach wie vor offen.“
Die Zukunft Europas bewegt auch Ljubow Panajotowa. Sie ist Programmdirektorin des Europäischen Instituts in Sofia. Ihr Blick richtet sich auf den Westbalkanraum, wo man sehnsüchtig auf die Europäische Union schaut.
„Keinesfalls dürfen wir ihnen die Perspektive für eine Mitgliedschaft nehmen“, sagt Ljubow Panajotowa. „Europa kann unmöglich mit diesem Loch in der Karte stark sein. Sicher hat die Krise die Intensität der Beitrittsverhandlungen verringert; wir dürfen aber nicht zulassen, dass einzig der EU-Beitritt Kroatiens in Gespräch ist.“
„Mein EU-Abgeordneter und ich – realer oder virtueller Dialog?“ Zu dieser Frage veranstaltete das Institut für angewandte Journalistik in Paris (IPJ) eine Umfrage unter französischen Studenten. Wie denken sie über die Zukunft Europas? Werden die jungen Menschen ihre Stimme für die Sache Europas abgeben? Hier einige Meinungen:
„Ich bin Franzose und Tscheche gleichermaßen und denke, dass Europa viel für die 27 Mitglieder tun kann“, sagt Nicolas. „Wichtig ist, dass man abstimmen geht, weil Europa viel tun kann, um den Alltag seiner Bürger zu erleichtern.“
„Natürlich werde ich mich an den Wahlen beteiligen und hoffe, dass viele Menschen meinem Beispiel folgen werden“, sagt ihrerseits Chloé. „Ich bin 24 Jahre alt und denke, dass ich zu einer privilegierten Generation gehöre. Europa besteht weiter, weil wir es so beschlossen haben, weil wir zusammen leben möchten und ein und dieselben Werte haben. Europa ist uns aber nicht geschenkt worden – jeden Tag müssen wir für unseren Alten Kontinent einstehen. Wir müssen offen gegenüber der Welt sein und nicht unserem egoistischen Dasein anhaften. Wichtig ist, dass die Völker in Frieden und Verständigung zusammenleben.“
„Um ehrlich zu sein – ich hatte bislang keine klare Vorstellung zu dieser Frage. Heute aber bin ich mir sicher: ich werde zu den Urnen gehen“, ist Anne überzeugt. „Die Menschen müssen sich dafür interessieren, was um sie herum vorgeht, müssen sich an Diskussionen und Konferenzen beteiligen, müssen reisen, um jene näher kennenzulernen, die Teil der großen europäischen Familie sind. Ja, wir müssen stimmen gehen...“
Der Enthusiasmus der jüngeren Generationen wird von Jean-Claude Deluc geteilt. Er unterrichtet Journalistik.
„Wir haben zum Thema „Mein Europaabgeordneter und ich“ eine Umfrage gestartet – insgesamt 22 Teams zu je zwei Journalisten stellten Fragen zu verschiedenen Aspekten. Das handhaben wir bereits seit Jahren so und stellen den Medien interessante Haltungen zu europäischen Themen vor“, erläutert der Journalistik-Lehrer. „Das Thema Europa ist in den französischen Medien nur schwer verkäuflich, da sie der Meinung sind, dass ihre Abnehmer nur wenig davon verstehen. Daher auch das gestörte Verhältnis zwischen Bürger und EU-Abgeordnete. Die Überraschung war daher groß, als sich bei der Umfrage ergab, dass die meisten Europaabgeordneten sofort zu einem Dialog zwecks eines besseren Kennenlernen bereit waren. Eine meiner Studentinnen war ganz begeistert, als sie mit dem Vizepräsidenten des Europäischen Parlaments Gérard Onesta telefonierte und er ihr bereitwillig alle Fragen beantwortet hat. Das ist für einen jungen Menschen und angehenden Journalisten sehr hoffnungserweckend. Die Ergebnisse der Umfrage liegen auf der Hand: Alle sind sich bewusst, dass die nationalen Probleme eine europäische Dimension besitzen. Dementsprechend lassen sich alle Beschlüsse Brüssels leicht in jedem Mitgliedsland umsetzen. Das Thema Europa, dass auf dem ersten Blick trocken erscheint, kann sofort für die Hörer oder Zuschauer ergreifend sein, sobald es in eine Geschichte verpackt ist. Das ist für die Journalistik von großer Bedeutung – Man muss die Dinge interessant und gleichzeitig verständlich vorbringen und dass zu einem äußerst komplizierten und schwierigen Thema. Man muss einfach eine Geschichte erzählen. Und das haben meine Studenten verstanden.“
Nun sind wir auch schon fast am Ende unserer Sendung angelangt, die übrigens die letzte des Projekts „Heute – Partnerschaft mit dem Europaparlament“ ist. Zum Ausklang wollen wir das Wort Ognjan Bojadschiew geben. Er ist Chefredakteur von Portal Europa.
„Wir beenden ein Projekt mit einem unerwarteten Ende. Vor einem Jahr, als wir das Projekt in Angriff nahmen, war es unserem Team noch nicht klar, ob in den 20 EU-Ländern, in denen wir mit unseren Partnern zusammenarbeiten, die Haltungen gegenüber den Europaabgeordneten und dem Europäischen Parlament selbst in etwa identisch sind“, sagt Ognjan Bojadschiew. „Es stand die Frage, ob der Enthusiasmus beispielsweise in Bulgarien und Rumänien größer ist, als in den alten Mitgliedsländern. Es stellte sich heraus, dass sich überall die Bürger gleichermaßen verantwortlich gegenüber dem Europaparlament und dem künftigen Europa zeigen. Überall brauchen die Bürger ein wenig Unterstützung und etwas mehr Kontakt zu ihren Europaabgeordneten. Ich bin also Optimist, auch was die Beteiligung an den Wahlen im Juni anbelangt, denn das nächste Mandat ist sehr wichtig und gleichzeitig schwierig für Europa. Die gute Nachricht ist, dass das Projekt unter dem Motto „Partnerschaft mit dem Europaparlament“ weitergeführt wird. Das Wörtchen „Heute“ ist weggefallen – dadurch wird ein Gefühl der Nachhaltigkeit gegeben. Es bleibt zu hoffen, dass der Dialog mit den Hörern über das Europaparlament nicht abbricht.“
Damit geht die letzte Sendung aus der Reihe „Heute – Partnerschaft mit dem Europaparlament“ zu Ende. Finanziell gestützt wurde das Gemeinschaftsprojekt des Europäischen Instituts, Radio Bulgarien und Portal Europa von der Generaldirektion „Kommunikation“ des Europäischen Parlaments. Alle Beiträge sind sowohl auf der Sonderseite http://parliament.europe.bg, als auch auf der Internet-Seite des Bulgarischen Nationalen Rundfunks www.bnr.bg zu finden. Unsere Partnerschaft geht jedoch wie gesagt weiter. Wir bedanken uns für die Aufmerksamkeit und vergessen sie nicht, zu den Wahlen zu gehen.
Erinnern wir uns an die Worte des französischen Schriftstellers Victor Hugo, der sagte: „Aus der Einigkeit der Freiheit und Brüderlichkeit zwischen den Völkern wird der allgemeine Aufstieg aller geboren – ein Keim der großen Zukunft des Menschengeschlechts, im Namen des Lebens, des Friedens und der Verständigung in Europa...“
Autor: Sonja Wassewa
Übersetzung und Redaktion: Wladimir Wladimirow