Bürgervision - Europa im Jahre 2020
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Autor: Maria Dimitrowa, Radio Bulgarien.
Ende Januar fand in der bulgarischen Hauptstadt Sofia eine Konferenz unter dem Motto „Bürgervisionen – Europa im Jahre 2020“ statt. Vertreter verschiedener Nichtregierungsorganisationen aus Bulgarien und anderen europäischen Ländern, Hochschullehrer und Wissenschaftler diskutierten darüber, wie der Alte Kontinent in zehn Jahren aussehen soll. Das Forum war Teil der Initiative „Partnerschaft mit dem Europaparlament“ – einem Gemeinschaftsprojekt unter der Teilnahme von Portal Europa, dem Europäischen Institut und dem Zentrum zur Modernisierung der Politik. Finanziell gestützt wird das Vorhaben von der Generaldirektion „Kommunikation“ des Europäischen Parlaments. Radio Bulgarien ist Medienpartner des Projekts.
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Die Konferenz in Sofia war Teil der von der Europäischen Union durchgeführten offenen Konsultationen mit ihren Bürgern zur Bestimmung der Entwicklungsrichtung der Union in der nächsten Haushaltsperiode 2014-2020. Wichtig ist, dass die Stimme der Bürger jetzt, in der Planungsphase vernommen wird, wenn die Ziele der Entwicklung bis zum Jahre 2020 abgesteckt werden. Bestimmt wird neben einer Entwicklungsstrategie auch der finanzielle Rahmen, der die jeweiligen Vorhaben absichern soll. Im Klartext heißt es, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist, den Umfang der EU-Fonds und deren Einsatz zu bestimmen. Zu diesen Fragen wird natürlich das Europäische Parlament das letzte Wort haben. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass sie über die Wünsche und Vorstellungen der Bürger über die Zukunft der Europäischen Union näher informiert sind.
Auf dem Sofioter Forum drehten sich die Diskussionen um drei, für Europas Zukunft wichtige Fragenkreise: die europäischen Institutionen und die Ausdehnung der Demokratie, die kulturelle Vielfalt und die europäische Identität und nicht an letzter Stelle die Sozialpolitik und Entwicklung. Die Diskussionen waren auch aus einem anderen Grund von Bedeutung – sie betreffen die ersten zehn Jahre nach Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon, der den europäischen Bürgern größeren Freiraum zur Mitbestimmung der Politik und der Strategien der Europäischen Union einräumt.
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In seinen Ausführungen ging Michael Bruter von der „London School of Economics“ auf die bereits zur schlechten Tradition gewordenen schwachen Beteiligung der Bürger an Europawahlen ein.
„Als die Franzosen 2005 gegen die vorgeschlagene Europäische Verfassung stimmten, war ihre Unterstützung für die europäische Integration größer denn je. Indem sie „Nein“ zur Verfassung sagten, brachten sie zum Ausdruck „Wir wollen mehr Europa“. Die europäischen Bürger stehen fest hinter der europäischen Integration – es bestehen aber noch große Diskrepanzen zwischen der Realität und jener Stufe an Integration, die sie sich wünschen“, sagt der britische Diskussionsteilnehmer.
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Als eine der Möglichkeiten zur stärkeren Einbindung der Bürger Europas wurde die Einrichtung von transnationalen Wahllisten aufgeworfen. Ségolène Pruvot von der Organisation „Europäische Alternativen“ gehörte zu den eifrigen Verfechterinnen dieser Idee:
„Wir rufen die politischen Parteien auf, transnationale Listen für die Europawahlen aufzustellen. Das wird unserer Ansicht nach neue politische Möglichkeiten eröffnen. Der Wahlkampf könnte sich so auf gesamteuropäische Fragen konzentrieren und nicht wie bisher den landesinternen Wahlkampf widerspiegeln.“
Diskussionen rief unweigerlich die Frage nach der europäischen Identität hervor. Gibt es sie überhaupt und in welcher Verbindung steht sie zu der nationalen Identität der europäischen Bürger?
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„Wir sind der Überzeugung, dass sich langsam aber sicher eine europäische Identität herausbildet, die eine dünne Schicht in der Charakteristik der europäischen Kultur bilden wird“, sagt Marco Incerti vom „Zentrum für europäische Politikstudien“ in Brüssel. „Die Europäische Union wird sich nie in einen gemeinsamen Staat verwandeln. Es besteht aber die Möglichkeit, dass sich eine gemeinsame europäische Kulturidentität herausbildet.“
Bis 2020 solle das „soziale Europa“ stehen, wie es bereits ein „wirtschaftliches“ und ein „politisches Europa“ gibt. Diese Ansicht wurde wiederum von den Teilnehmern an der Konferenz „Bürgervisionen – Europa im Jahre 2020“ in den Debatten über die Sozialpolitik und Entwicklung des Alten Kontinents geäußert. Man war sich einig, dass die europäische Beschäftigungspolitik flexibler werden und für größere Sicherheit auf dem Arbeitsmarkt beitragen muss.
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Ani Nedkowa vom Europäischen Institut führte weitere Empfehlungen an:
„Einer der nützlichen Schritte wäre die Ausdehnung der Vollmachten des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses jenseits seiner derzeitigen Beratungsfunktionen. In der neuen Strategie „Europa 2020“ sollte die soziale Annäherung zur Priorität erklärt werden.
Die Solidaritätspolitik sollte ihrerseits die Investitionen auf ein reales Wachstum lenken. Des Weiteren müssen die Maßnahmen im Kampf gegen die Armut fortgesetzt und Mindest-Standards für soziale Sicherheit und Lebensqualität bestimmt werden.“
Die Erweiterung der Europäischen Union ist der wohl überzeugendste Ausdruck von Solidarität in der europäischen Völkerfamilie. Das Gros der Diskussionsteilnehmer sprach sich für die Fortführung der Erweiterungsprozesse aus.
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Marc Garcet von der Internationalen Vereinigung zur Behindertenunterstützung mit Sitz in Belgien äußerte die Ansicht, dass die Europäische Union nicht von ihren Prinzipien der Solidarität ablassen dürfe, da der Nutzen und die Bereicherung gegenseitig seien.
„Wir Westeuropäer haben euch genauso nötig, weil ihr die Gemeinschaft mit eurer Kultur bereichert. Auf diese Weise werden wir uns öffnen und solche Beziehungen zur Welt des Ostens aufbauen, über die wir bislang nicht verfügten. Es gibt viel zu entdecken, wie beispielsweise der multikulturelle Raum und das ist ein Reichtum, den ihr einbringt. Damit keimen neue Hoffnungen und größere Erwartungen auf, die wir alle brauchen, damit Europa weiter vorwärts schreitet.“
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Die Vorsitzende des Ausschusses für Kultur und Bildung im Europaparlament Doris Pack war Sondergast der Konferenz in Sofia. Sie setzte in ihren Ausführungen einen Akzent auf die Programme zum Austausch zwischen den Ländern, die sich großer Popularität erfreuen würden. Sie nannte das Comenius-Programm für Lehrer und Schüler, das Programm Erasmus für Studenten und Hochschullehrer, ferner das Programm Leonardo für Berufsausbildung und das Grundtvig-Programm, das sich auf die Lehr- und Lernbedürfnisse von Menschen in der Erwachsenenbildung und in alternativen Bildungsgängen konzentriert.
„Die Lehrer müssen die Gelegenheit bekommen, wenigsten einige Monate im Ausland zu verbringen. Ansonsten wissen sie nicht, wie es im restlichen Europa aussieht und können auch ihre Schüler nicht darüber informieren“, sagt Doris Pack und setzt fort: „Ich weiß nicht wie viel Geld dafür nötig sein wird, versichere ihnen aber, dass das in die EU-Programme aufgenommen werden wird.“
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Sondergast des Diskussionsforums in Sofia war u.a. auch der Direktor der Rechtsabteilung beim Europäischen Ombudsmann João Sant'Anna. Er brachte seine Zufriedenheit über die erweiterten Möglichkeiten zur Teilnahme und Kontrolle der Bürger an der Arbeit der Europäischen Union zum Ausdruck. Laut dem Vertrag von Lissabon können nun die Bürger legislative Initiativen ergreifen - Eine Million Unterschriften von EU-Bürgern können die Union zu neuen Gesetzesregelungen auffordern.
„Der Vertrag von Lissabon stellt tatsächlich einen bedeutenden Fortschritt innerhalb der Rechte der europäischen Bürger dar“, sagt João Sant'Anna. „Die Beschlüsse der Union werden nun offener gefasst und die Beschlussfassung selbst steht den Bürgern näher – ihre Stimme findet stärker Gehör. Die EU-Bürger sind zur Teilnahme an der Schaffung der europäischen Gesetze aufgefordert. Im gleichen Zuge können sie die Arbeit der Institutionen kontrollieren. In diesem Sinne stellt der Vertrag von Lissabon eine Herausforderung für die Gesellschaft dar, die sich real am Alltag der Union beteiligen kann. Der Europäische Ombudsmann, wie auch das gesamte Netz an nationalen Ombudsmännern stellt eine Garantie für den Schutz der Bürgerrechte dar, wenn die Arbeit verschiedener örtlicher und europäischer Institutionen bemängelt wird.“
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Mit der finanziellen Hilfe des Europäischen Parlaments wertet ein Expertenteam die grundlegenden Empfehlungen des zweitägigen Sofioter Forums aus. Die Analysenergebnisse sollen an alle EU-Abgeordnete vergeben werden. So werden sie über die Meinungen und Wünsche der gewöhnlichen Bürger Bescheid wissen, wenn sie die Politik der Europäischen Union für den Zeitraum 2014 bis 2020 abstecken. Videoclips mit einem Teil der Diskussionen wurden in die Internetseite http://parliament.europe.bg gestellt.
Ihre Fragen und Meinungen können sie per Post zusenden, oder uns Mailen. Die Adresse lautet: info@europe.bg.
Übersetzung und Redaktion: Wladimir Wladimirow.