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01-08-2008

Die 5. EU-Erweiterung durch das Prisma der Fortschritte Bulgariens und Rumäniens in den anderthalb Jahren EU-Mitgliedschaft

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Am 23. Juli hat die EU-Kommission ihren Prüfbericht über die Fortschritte Bulgariens und Rumänien im Bereich Justiz und Inneres in Brüssel veröffentlicht und damit eine Welle von Reaktionen im In- und Ausland verursacht. Diesem Thema widmet sich unsere heutige Sendung aus der Reihe "Heute – Partnerschaft mit dem Europaparlament".

Die EU hatte beim Beitritt Bulgariens und Rumäniens im Januar 2007 zum ersten Mal ein so genanntes Kooperations- und Kontrollverfahren eingeführt, weil an der EU-Reife vor allem auf den Gebieten Justiz und Verbrechensbekämpfung erhebliche Zweifel bestanden. In regelmäßigen Abständen untersucht die Kommission, ob auf den bemängelten Gebieten Fortschritte festgestellt werden können. Vergleichsmöglichkeiten zu früheren Erweiterungen gibt es nicht, und da das Prozedere neu ist. Daher sind auch die Sanktionen im Rahmen dieses Verfahrens erstmalige Vorkommnisse.

Im Prüfbericht über Bulgarien stellte die Kommission nun fest, es gebe "keinerlei Fortschritte" in der Bekämpfung von Korruption, Vetternwirtschaft und organisierter Kriminalität durch die seit 2005 amtierende Regierung des sozialistischen Ministerpräsidenten Sergej Stanischew. Bulgarien müsse dafür sorgen, dass "die großzügige Unterstützung, die es von der EU bekommt, tatsächlich die Bürger erreicht und nicht von korrupten Beamten vereinnahmt wird, die mit dem organisierten Verbrechen zusammenarbeiten". Die Europäische Union hat in Folge dessen die Finanzhilfe für Bulgarien im Umfang von rund einer halben Milliarde Euro gekappt. Erstmals setzte die EU-Kommission Zahlungen bis auf weiteres aus, weil der Verbleib der Mittel nicht ausreichend kontrolliert werden könne. Laut Brüssel sollen die Zahlungen wieder aufgenommen werden, sobald die Regierung in Sofia die nötigen Maßnahmen ergriffen hat.

Einige, wenn auch zaghafte, Schritte hat die Regierung auf dem Weg zu einem weniger korrupten Staat bereits gemacht: So hat Stanischew im vergangenen Mai sein Kabinett erheblich umgeformt und Meglena Plugtschiewa, damals Botschafterin in Berlin, als stellvertretende Ministerpräsidentin mit der Kontrolle von EU-Geldern beauftragt. Die Berufung galt als Signal an Brüssel und wurde begrüßt.

Die vollständige oder teilweise Aussetzung der für Bulgarien wichtigen Zahlungen aus Brüssel gehören zu den Schutzmaßnahmen, die sich die EU-Staaten ausdrücklich vorbehalten haben, falls das Land nicht zur Einhaltung der EU-Standards in der Lage sein sollte.

"Der Bericht der EU-Kommission ist objektiv", kommentierte Ministerpräsident Stanischew nach einer Dringlichkeitssitzung der Dreierkoalition aus den Sozialisten, der Zaren-Partei und der Partei der ethnischen Türken. "Die Kommission hat sowohl unsere Fortschritte, als auch die Mängel aufgezeigt, für die wir uns keinesfalls die Augen schließen dürfen. Daher steht für uns fest – bis zum nächsten Prüfbericht im nächsten Sommer müssen wir alle Kräfte mobilisieren und uns anstrengen, um die von der EU gemachten Auflagen zu erfüllen", so der Regierungschef.

Wegen Missbrauchs von Geldern stoppte die EU Zahlungen in Millionenhöhe, die in Bulgarien dringend zur Verbesserung der maroden Infrastruktur sowie zur Modernisierung des Agrarsektors benötigt werden. Die Regierung will nun die laufenden Projekte aus dem Haushaltsüberschuss finanzieren, verkündete Stanischew. Und er wies jegliche Andeutungen auf Ministerrücktritte wegen der Sanktionen aus Brüssel von sich.

Der strenge Ton der EU-Kommission war für die hiesige Opposition ein gefundenes Fressen. "Der Geduldsfaden der Europäischen Union ist gerissen", kommentierte der Vorsitzende der bürgerlichen DSB Iwan Kostow, der von 1997 bis 2001 Ministerpräsident des Landes war. Und weiter sagte er:

"Dieser Bericht ist eine bittere Pille für die bulgarische Wirtschaft, für den Agrarsektor und für die Sozialpolitik, denn Bulgarien konnte das Vertrauen der EU-Partner nicht rechtfertigen", so Iwan Kostow weiter. "Der Sinn der Unterstützung aus der Europäischen Union ist ja, dass Bulgarien in schnellen Schritten den Lebensstandard in den entwickelten westeuropäischen Ländern erreicht, damit auch unsere Bürgerinnen und Bürger ein besseres Leben haben. Es ist ja allgemein bekannt, dass der dramatische Unterschied im Lebensstandard zu sozialen, internationalen und internen Spannungen, ja gar zum Terrorismus führt. Im Namen des Friedens und des Gemeinwohls haben sich die Europäer bereit erklärt, solidarisch, einschließlich mit Bulgarien zu sein. Wir haben sie jedoch enttäuscht. Die regierende Dreierkoalition tut so, als ob sie Brüssel nicht versteht. Die bulgarische Linke ist von den EU-Werten kulturell diametral entfernt. Deshalb muss sie boykottiert werden, um wenigstens unser Gesicht nicht zu verlieren, denn nicht alle in Bulgarien sind die heutige bulgarische Regierung", sagt der Oppositionspolitiker Kostow.

Die Kritik aus Brüssel kam bei den Bulgaren gut an. Eine Untersuchung des Meinungsforschungsinstituts Alpha Research ergab, dass 40 Prozent der Befragten den Druck aus der EU-Kommission auf die bulgarische Politik begrüßen. Dennoch behauptet die Meinungsforscherin Mira Janowa, dass die Öffentlichkeit in Bulgarien gespalten ist und sich die politischen Hauptdarsteller auf eine steile Talfahrt gefasst machen sollten. "Diese breite Unterstützung für die Sanktionen aus Brüssel ist ein zusätzliches Argument für die EU-Kommission", kommentierte auch die bulgarische Europaministerin Gergana Grantscharowa.

Am denkwürdigen 23. Juli veröffentlichte die Europäische Kommission ihren Fortschrittsbericht nicht nur für Bulgarien, sondern auch für Rumänien. Beide EU-Neulinge sitzen in einem Boot – sie müssen Sanktionen als Schutzmaßnahmen fürchten, die sich die EU-Staaten ausdrücklich vorbehalten haben, falls Bulgarien oder Rumänien nicht zur Einhaltung der EU-Standards in der Lage sein sollten. Rumänien steht zwar auch wegen Versäumnissen im Kampf gegen Korruption in der Kritik, muss aber vorerst keine Konsequenzen fürchten. Welche Reaktionen gab es in unserem Nachbarland auf die Kritik aus Brüssel? Dazu nun Luca Niculescu, Chefredakteur von RFI Rumänien:

"Es gab zweierlei Reaktionen", sagt Niculescu. "Zunächst hatten wir natürlich die offizielle Reaktion der Regierung in Bukarest, die betonte, dass der Bericht zu Rumänien eine ausführliche Würdigung der Fortschritte gegenüber den Vorgaben der Kommission zur Justizreform und zur Korruptionsbekämpfung enthält. Der Schwerpunkt lag auf den Feststellungen, dass die Grundlagen für ein funktionierendes Justizwesen geschaffen wurden. Sie sind jedoch immer noch zerbrechlich, und Entscheidungen über Fälle von Korruption auf hoher Ebene unterliegen einem enormen Einfluss der Politik", kommentiert Niculescu den EU-Bericht über Rumänien und geht auf die Reaktion in der Bevölkerung ein: "Die Menschen in Rumänien wissen einfach, dass trotz mancher positiver Feststellungen im Prüfbericht die Probleme in der Justiz noch längst nicht behoben sind. Der Wille zur Reform ist in den wichtigsten Organen und Einrichtungen Rumäniens nicht gleichmäßig vorhanden. Bei der Justizreform wurden zwar Fortschritte erzielt, aber das System muss noch unter Beweis stellen, dass Korruption auf hoher Ebene nicht ungestraft bleibt. Trotz des großen Medienrummels ist kein einziger Gerichtsprozess abgeschlossen worden und kein einziger bestechlicher Politiker ist verurteilt worden. Gegen Dutzende ehemalige und heutige Minister wird ermittelt, doch niemand in Rumänien glaubt, dass etwas dabei herauskommen wird", meint Luca Niculescu, Chefredakteur von RFI Rumänien.

Im Rahmen ihrer halbjährlichen Überprüfung der Justizreformen in den beiden neuen Mitgliedstaaten Bulgarien und Rumänien hat die EU-Kommission am Mittwoch finanzielle Sanktionen gegen Sofia verhängt, während Bukarest erneut mit einer "gelben Karte" davonkam. Über weite Strecken wiederholen die Berichte zu Bulgarien und Rumänien frühere Bewertungen. Gleich geblieben ist auch, dass die Lage in Bulgarien als erheblich schlechter dargestellt wird als jene in Rumänien. Wie erklärt sich das Luca Niculescu?

"Das ist zum Teil auf objektive, aber auch subjektive Gründe zurückzuführen", sagt Niculescu. "Von außen betrachtet scheint die Lage in Bulgarien kritischer zu sein, als im Nachbarland Rumänien. Das organisierte Verbrechen in Rumänien buchtet nicht so aus, wie in Bulgarien. Hinzu kommt, dass Rumänien keine Schwierigkeiten mit der Zuteilung der EU-Gelder hat. Also handelt es sich letztendlich um zwei konkrete Probleme, die Bukarest nicht hat. Andererseits besteht auch eine subjektive Bewertung der Lage", betont Luca Niculescu. "Es stellte sich nämlich heraus, dass Rumänien einfach eine bessere Figur bei der Präsentation der Fortschritte in Brüssel gemacht hat. Das bessere Abschneiden geht also teilweise auf Lobbyarbeit zurück", sagt der Chefredakteur von RFI Rumänien.

Die Feststellungen im jüngsten Prüfbericht der EU-Kommission waren ein recht großes Thema in der Presse. In den alten Mitgliedstaaten ist die Skepsis über die Aufnahme Bulgariens und Rumäniens seit Jahren verbreitet. Der Kommission wird hier und da "politischen Opportunismus" vorgeworfen, weil sie den Beitritt der beiden Länder zu früh empfohlen habe. Wie haben die Europäer die Kritik an Sofia und Bukarest aufgenommen und hatte sie Auswirkungen auf die Wahrnehmung der fünften EU-Erweiterung? Mit dieser Frage wandten wir uns an Juliana Nikolowa vom Europainstitut in Sofia:

"Als der Bericht über die fünfte EU-Erweiterung im außenpolitischen Ausschuss des Europaparlaments diskutiert wurde, diskutierte man lange darüber, ob diese Erweiterung ein 'großer Erfolg' oder nur 'Erfolg' genannt werden soll. Als Argument für den zurückhaltenden Ton dienten Bulgarien und Rumänien. Ich habe mich dabei sehr bedrückt gefühlt", erzählt Juliana Nikolowa. "Die Europäer sind besorgt und wir müssen ihre Ängste abbauen. Die politischen Reaktionen erübrigen sich noch mit Absichtserklärungen. Darauf sollten Taten folgen. Alles, was die EU-Kommission angekreidet hat, sind Probleme, die Bulgarien seit Jahren hat. Sie müssen endlich angegangen werden", sagt die Leiterin des Europainstituts in Sofia, Juliana Nikolowa.

"Die Feststellungen der Europäischen Kommission haben mich überhaupt nicht überrascht, aber ich hätte den Bericht nicht so mild verfasst", sagt ihrerseits die Sprecherin des bulgarischen Richterrates Nelly Kutzkowa. "Auf allen Ebenen weist das bulgarische Justizsystem viele Mängel auf. Es ist verfassungsrechtlich so aufgebaut, dass man nie genau sagen kann, wo konkret das Problem liegt – liegt es an der Ermittlung, an der Staatsanwaltschaft oder am Gericht. Die Menschen in Bulgarien leiden jedoch inzwischen zu stark unter fehlender Gerechtigkeit. Die Verbrecher fühlen sich unantastbar. Und trotzdem habe ich persönlich als Richterin das Gefühl, dass ich in zwei verschiedenen Welten lebe", sagt Nelly Kutzkowa. "Einerseits teile ich die Unzufriedenheit in der Bevölkerung, andererseits erlebe ich die Arbeit meiner Kollegen am Gericht, die bis spät abends und am Wochenende im Büro sitzen. Das bedeutet für mich, dass wir nicht effektiv sind", schlussfolgert Richterin Kutzkowa.

"Der Hauptansatzpunkt im Kommissionsbericht liegt für mich darin, dass er an die Bürger in diesem Land indirekt appelliert, kritisch zu werden", sagt der Medienexperte Georgi Losanow. "Unser soziales Umfeld stimmt vorn und hinten nicht. Und trotzdem bleiben die Reaktionen der Bevölkerung aus. Andererseits rügt die Kommission mit einer gewissen Zurückhaltung die kümmerlichen Fortschritte der bulgarischen Regierung, wohl aus der Überlegung heraus, anderen Regierungen nicht zu sehr an den Karren zu fahren. Der Bericht hätte kritischer ausfallen können", meint Georgi Losanow, der durch die problembehaftete Mitgliedschaft Bulgariens und Rumäniens die weitere EU-Erweiterung gefährdet sieht.

"Ich glaube, dass sich die EU-Mitglieder jetzt wirklich überlegen werden, was Integration bedeutet", fährt Losanow fort. "Es dürfen keine neuen Mitglieder nur anhand von Versprechen aufgenommen werden. Es müssten schon mehr Gründe vorliegen, um Teil von Europa zu werden. Bulgarien gehört momentan nicht zu Europa, und gemeint ist dabei nicht der geografische Begriff, sondern das europäische Wertesystem. Wir halten die europäischen Werte nicht ein", ist der Medienexperte kategorisch.

Korruption, organisierte Kriminalität und die Unfähigkeit der Regierungen, sie wirksam zu bekämpfen – das wirft 18 Monate nach dem EU-Beitritt von Rumänien und Bulgarien schwere Schatten auf die Osterweiterung der Europäischen Union. Die sich häufenden Kritiken der EU-Kommission an Sofia und Bukarest sind Wasser in der Mühle der Erweiterungsgegner in der Union. Darüber sprachen wir mit Bulgariens Europaministerin Gergana Grantscharowa.

"Jede Erschütterung in einem Mitgliedsland ist eine Herausforderung für die Politik der Europäischen Union", behauptet Grantscharowa. "Das trifft natürlich auch auf Schwachstellen in der Justiz und bei der Verwendung der EU-Hilfe zu, wie es im Fall Bulgarien ist. Dadurch sorgt Bulgarien für Spannungen innerhalb der Union. Ich bin jedoch überzeugt, dass solche tiefgreifende Veränderungen, wie es eine Justizreform und die Reform der Sicherheitsstrukturen sind, ein langwieriger Prozess sind. Je besser die EU funktioniert, um so mehr werden die Stimmen jener in der Union sein, die eine weitere Erweiterung begrüßen würden", sagt die Europaministerin. "Bulgarien trägt eine größere Verantwortung für die Region des Westbalkans, als andere Mitgliedsländer und deshalb müssten wir als Beispiel für die Kandidatenländer aus der Region dienen. Deshalb begrüße ich den Ton im Prüfbericht der Kommission, denn er umreißt auch die konkreten Handlungen Bulgariens in den nächsten sechs Monaten", so Gergana Grantscharowa. Und weiter:

"Ich glaube, dass Bulgarien keine andere Wahl hat, als sich anzustrengen, um sein positives Ansehen in der EU wiederzugewinnen", sagt die bulgarische Europaministerin weiter. "Das gute Image des Landes führt zur Zuversicht eines jeden Bulgaren. Die Frage heute ist, wie schnell Bulgarien konkrete Maßnahmen ergreifen wird", so Gergana Grantscharowa.

Bei der Verkündung der Kommissionsberichte über Bulgarien und Rumänien hat Barrosos Sprecher Johannes Laitenberger ausdrücklich betont, dass die Aufnahme der beiden ärmsten EU-Länder nicht im Nachhinein bedauert werde. Die EU sei sich damals der Schwierigkeiten in den Ländern bewusst gewesen und wollte dies nach dem Beitritt gemeinsam angehen. "Wir müssen zugeben, es gibt Probleme in verschiedenen Bereichen, aber wir sollten auch anerkennen, dass das nicht das vollständige Bild ist", sagte Laitenberger.

Die Sendereihe "Heute – Zusammenarbeit mit dem Europaparlament" wird von Radio Bulgarien, RFI - Rumänien und Yvelines Radio - Frankreich ausgestrahlt. Die Sender sind Medien-Partner des Projekts "Heute - Zusammenarbeit mit dem Europaparlament", das vom Europäischen Institut, den Zentrum zur Modernisierung der Politik und dem Portal EUROPA ausgeführt wird.

Ihre Fragen zum Projekt und zu unserer Sendereihe erwarten wir auf info@europe.bg. Weitere Einzelheiten erfahren Sie auf http://parliament.europe.bg

Autorinnen: Iliana Rajtschewa, Rumjana Zwetkowa, Weneta Nikolowa

Redaktion: Vessela Vladkova


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