Erste Signale aus Brüssel an Sofia
Vizeregierungschefin Plugtschiewa erkämpft verlorenes Vertrauen der EU-Kommission zurück
Vor einem halben Jahr verließ die damalige bulgarische Botschafterin Dr. Meglena Plugtschiewa Berlin Richtung Sofia und ist seitdem Vizeregierungschefin. Sie wacht über die ordnungsgemäße Verwendung der EU-Fördermittel und kämpft energisch darum, verlorenes Vertrauen der EU-Kommission in Bulgarien zurückzuerlangen - mit der Vollmacht von Bulgariens Ministerpräsident Sergej Stanischew für all ihre Handlungen. Mit der Politikerin sprach Gabi Kotlenko.
ND: Wie zufrieden ist Brüssel gegenwärtig mit Bulgarien?
Plugtschiewa: Wir warten jetzt auf eine Entscheidung aus Brüssel und hoffen, dass die gestoppten Mittel freigegeben werden. Wir konnten jetzt die ersten Ergebnisse auf den Tisch legen, nachdem die kritischen Berichte der EU-Kommission im Juli erschienen sind. Es ist in den vergangenen Monaten enorm harte Arbeit geleistet worden, vor allem mit dem Schwerpunkt der Veränderung der Kontrollsysteme, beim Ausbau der administrativen Kapazität und der Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen den bulgarischen Institutionen
Wie steht es um die Zusammenarbeit mit der Generaldirektion von OLAF, des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung?
Ich glaube, da haben wir große Fortschritte gemacht. Und ich erwarte, dass sie jetzt auch von der Kommission in Brüssel nicht nur gewürdigt, sondern tatsächlich anerkannt werden. Die ersten Signale dafür sind schon gekommen.
Das Agrar-Vorbeitrittsprogramm SAPARD ist inzwischen um ein Jahr verlängert worden. Das ist schon ein großer Erfolg und gibt uns die Chance, weitere Projekte - mehr als 750 - zu retten. Es geht hier um eine große Menge Geld, um rund 200 Millionen Euro. Und das ist ja schon viel für Bulgarien. Bei den anderen Vorbeitrittsprogrammen haben wir auch Enormes geleistet, so bei der Gesetzgebung und der Umstrukturierung bei den Verantwortlichen.
Wie zufrieden sind Sie selbst mit dem Erreichten bisher?
Ich muss ehrlich zugeben, dass ich erst jetzt mit dem Tempo der Arbeit und der Wahrnehmung der Verantwortung der Zuständigen so langsam zufrieden werde. Auf keinen Fall kann ich sagen, dass wir alles erreicht haben. Wir sind auf dem richtigen Weg und ich teile die Meinung von Brüssel, dass wir jetzt nicht nur eine Kampagne führen sollen, um die Kritiker zu beruhigen, sondern dass wir den Prozess konsequent fortsetzen müssen für uns, für unsere Bürger, damit wir auch die EU-Mittel zielgerichtet nutzen und dies vor allem transparent machen. Die richtige Nutzung der Gelder ist gerade jetzt mit Blick auf die Turbulenzen auf den Finanzmärkten eine enorme Chance für Bulgarien und die Möglichkeit, ein Instrument gegen die Krise zu werden. Da sind politischer Wille und Entschlossenheit gefragt und von der Seite der bulgarischen Regierung auch da.
Sie haben kürzlich gesagt, dass die EU auch ein bisschen in der Pflicht ist Bulgarien gegenüber. Hat denn auch die EU inzwischen die Hausaufgaben erfüllt?
Wir brauchen Expertenhilfe, Unterstützung und Betreuung. Und die Kommission hat entsprechend auf meine Bitte reagiert. Wir haben von Seiten der Kommission von den verschiedenen Generaldirektionen mehrere Missionen im Land gehabt. Ich bin mit dieser Zusammenarbeit sehr zufrieden und hoffe, dass wir sie fortsetzen werden. An der Stelle möchte ich meinen aufrichtigen Dank an Deutschland aussprechen, weil ich von dort besonders stark unterstützt werde. Wir bekamen und bekommen Hilfe hochrangiger Experten. Die nehmen wir nicht nur sehr gern an, sie kommt auch zur richtigen Zeit. So verstehe ich die kritische Solidarität der Mitgliedsstaaten und der Kommission: Probleme werden beim Namen genannt, damit sie richtig bekämpft werden können. Aber gleichzeitig stoßen wir auf Unterstützung, Verständnis und Vertrauen.
Hat der Stopp der EU-Fördermittel negative Auswirkungen gehabt, zum Beispiel in der Landwirtschaft?
Die Sanktionen waren mit vorübergehenden Einstellungen oder dem Stopp der Gelder verbunden. Doch Bulgarien steht finanziell und wirtschaftlich sehr stabil da, so dass wir sofort reagiert und aus dem Staatshaushalt Gelder zur Verfügung gestellt haben, um die Projekte nicht zu verlieren, was zu Lasten der Bürger und Gemeinden gegangen wäre. Bulgarien zählt zu den wenigen EU-Mitgliedsstaaten mit Budgetüberschuss. Wir verzeichnen in diesem Jahr 7,1 Prozent Wirtschaftswachstum. Das lag in den vergangenen sieben Jahren immer über 5 Prozent. Jetzt wird die reale Wirtschaft auch bei uns von der Finanzkrise betroffen. Die Prognosen für 2009 liegen bei 4,7 bis 5 Prozent Wachstum. Auf jeden Fall steht Bulgarien stabil. Doch es geht nicht an, die Fehler einer Handvoll Menschen mit nationalen Geldern zu bezahlen. Mit diesen Mitteln ist sehr verantwortungsvoll umzugehen. Wir müssen lernen, hier sehr transparent und mit ständiger Kontrolle zu handeln.
Vor Kurzem begann ein erster großer Prozess um Unterschlagung von EU-Geldern. Neun Bulgaren wird vorgeworfen, 7,5 Millionen Euro aus dem Programm zur Förderung der Landwirtschaft veruntreut zu haben. Gibt es erste Urteile oder verläuft das im Sande?
Das Verfahren steht noch am Anfang und ich hoffe sehr, dass die bulgarische Staatsanwaltschaft und das gesamte unabhängige Justizsystem sehr verantwortungsvoll reagieren werden. Das Justizsystem ist in der Pflicht und hat, so hoffe ich, Konsequenzen aus den Sanktionen der EU gezogen. Nicht nur Regierung und Parlament müssen ihre Aufgaben erfüllen, alle in der Kette sind in der Pflicht.
Im Juni wählt Bulgarien eine neues Parlament. Welche Chancen sehen Sie für die derzeit mitregierenden Sozialisten?
Es ist zu früh für Prognosen über eventuelle Wahlergebnisse. Außerdem halte ich mich aus den parteipolitischen Geschäften raus. Ich werde mich auch bemühen das Thema der Nutzung der EU-Mittel nicht zu politisieren und zum Instrument im Wahlkampf zu machen. Der Kampf im Ringen um das Vertrauen der EU ist eine parteiüberschreitende Aufgabe. Und ganz gleich, welche Partei oder Koalition an die Macht kommen wird, von den EU-Fördermitteln wird zuallererst der bulgarische Bürger profitieren. Das Vorwärtskommen in dem Prozess wird auch ein Vorteil für jede weitere neue Regierung sein. Ich werde mich nach wie vor auf meine Aufgaben konzentrieren und versuchen, sowohl die Minister als auch die ganze Administration daran festzumachen, ihre Aufgaben 100-prozentig zu erfüllen.