Die Zeit: "Letzter Ausweg Brüssel"
Die Bürger Bulgariens vertrauen Europas Bürokraten im Kampf gegen die Korruption mehr als der eigenen Regierung.
von Braun, Carolyn - Die Zeit (9 April).
An meiner Seite stand ein Milchbauer mit seinem Kanister«, erinnert sich Dinko Gospodinow. Gemeinsam mit Hunderten Landsleuten war der 30-jährige Grafiker im Januar auf die Straßen von Bulgariens Hauptstadt Sofia gezogen, um gegen Korruption und Armut zu protestieren. Intellektuelle und Bauern, Umweltschützer und Studenten, Rentner und junge Mütter hatten sich dem Zug angeschlossen. »Jeder hatte seine eigene kleine Forderung«, sagt Gospodinow.
Etwas mehr als zwei Monate später sind die Proteste Geschichte. Die Wirtschaftskrise hat Bulgarien fest im Griff, die Unzufriedenheit seiner Bürger steigt. Keiner der für die Wahlen im Juni kandidierenden Parteien trauen die Bulgaren eine Wende zum Guten zu. Demonstrationen aber hat die Hauptstadt nicht mehr gesehen. Es ist, als habe sich Resignation über das Land gelegt.
Seit über zwei Jahren ist Bulgarien Mitglied der Europäischen Union, doch die Hoffnung, die die Ländergemeinschaft in das Land setzte, hat der Balkanstaat enttäuscht. Berichte über Stimmenkauf bei Wahlen, über Korruption und Kriminalität, eine träge Justiz, über Unregelmäßigkeiten und Inkompetenz bei der Verwaltung von EU-Geldern machen die Runde. Nach dem Korruptionsindex von Transparency International belegte das Land 2008 Platz 72 unter 180 Nationen und war damit der korrupteste Staat der EU. Die meisten der sieben Millionen Bulgaren glauben, dass nur Brüssels Einfluss die Lage bessern kann. Im vergangenen Jahr hat die EU denn auch erstmals härter reagiert und Geldströme nicht nur eingefroren, sondern teilweise unwiderruflich gestoppt. Aber noch bewirken die Sanktionen wenig.
Das zeigt etwa der Skandal um die Nikolow-Stojkow-Gruppe. Laut dem Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung (Olaf) soll sie ein Netz von 50 in- und ausländischen Unternehmen beherrscht, Verbindungen in höchste Regierungskreise gehabt und EU-Gelder in Höhe von 32 Millionen Euro veruntreut haben. Unter anderem habe die Gruppe alte Fleischverarbeitungsmaschinen an Partner in Augsburg verkauft, die dann, als neu deklariert, von bulgarischen Firmen erworben worden seien. Diese wiederum hätten sich dafür um Unterstützung aus EU-Fördertöpfen beworben. In Bulgarien hatten die Olaf-Recherchen bislang allerdings kaum Folgen: Während einer der deutschen Beschuldigten längst hinter Gittern sitzt, hat die bulgarische Justiz das Verfahren gegen den Unternehmenschef Ljudmil Stojkow fast vollständig fallen gelassen, das gegen Mario Nikolow findet kein Ende.
In diesem Jahr nur Nullwachstum - »wenn wir Glück haben«.
Probleme, denen sich die Regierung schon in normalen Zeiten nicht gestellt hat, wird sie nach Meinung aller Experten aber im anhebenden Wahlkampf noch weniger lösen. Dazu machen die Auswirkungen der globalen Wirtschaftskrise den Kampf gegen die Korruption doppelt schwer. Der Internationale Währungsfonds prognostiziert der bulgarischen Wirtschaft für dieses Jahr ein Wachstum von einem Prozent, sechs Prozent waren es 2007. Einheimische Fachleute gehen sogar von Nullwachstum aus - »wenn wir viel Glück haben«, sagt Ruslan Stefanow, Wirtschaftsexperte am Center for the Study of Democracy (CSD) in Sofia.
Das sind keine guten Zeiten, um verkrustete Strukturen aufzubrechen. Doch genau das soll Meglena Plugtschiewa tun, für die Verwaltung der EU-Fonds verantwortliche Vizepremierministerin. Viel Zeit hatte Plugtschiewa schon bei ihrem Amtsantritt vor einem Jahr nicht, mittlerweile bleiben ihr gerade noch zwei Monate, bis die Wahlen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das Ende der amtierenden Dreiparteienkoalition besiegeln werden. Dennoch versprüht die 52-Jährige Optimismus. »Wir brauchen gute Ergebnisse«, sagt sie - »für uns selbst und unsere Bürger, nicht für Brüssel.«
Man nimmt ihr ab, dass ihr der Kampf gegen die Korruption ernst ist. »Die Situation verbessert sich zum Positiven, aber es geht viel langsamer, als ich gehofft hatte«, sagt sie. Hinter Plugtschiewas kunstvoll geschnitztem Schreibtisch hängen die Flagge Bulgariens und der EU, ein Gemälde zeigt das Brandenburger Tor, im Wandregal turnen zwei Berliner Bären. Auf einem Seitentisch hat die ehemalige bulgarische Botschafterin in Deutschland ein Foto aufgestellt, das sie mit Bundespräsident Horst Köhler zeigt.
Nach ihren Worten hat sich während der vergangenen Monate in Bulgarien einiges geändert: ein Gesetz zur Offenlegung der Parteienfinanzierung wurde verabschiedet, die Verschärfung der Strafverfolgung in die Wege geleitet, mögliche Interessenkonflikte zwischen Politik und Wirtschaft wurden geregelt. Die Europäische Union allerdings zeigte sich von diesen Aktivitäten zunächst nicht sonderlich beeindruckt und entschied, bisher nur auf Eis gelegte Geldtransfers endgültig zu stoppen. Im Februar attestierte die EU- Kommission in einem neuerlichen Bericht Bulgarien beim Kampf gegen Korruption und die Organisierte Kriminalität immerhin leichte Fortschritte. Ein Urteil, das zu großen Teilen Plugtschiewas Anstrengungen zugeschrieben werden kann - »und das von uns verlangt, mindestens im gleichen Tempo weiterzumachen«, wie sie sagt.
Plugtschiewa wird von Landeskennern in Brüssel und Sofia zugute gehalten, dass sie sich um Verbesserungen bemüht. Dennoch bleibe ihre Berufung eine »kosmetische Maßnahme«, kritisiert Ognian Boyadjiew, Experte für europäische Integration im European Institute in Sofia. »Hätte die Regierung es ernst gemeint, hätte sie Frau Plugtschiewa nicht erst knapp ein Jahr vor den Wahlen eingesetzt.«Bei der EU-Kommission heißt es, Bulgarien verspreche viel, ob das Land Wort halte, sei aber fraglich. Für die EU- Parlamentarierin Inge Gräßle gehen die bisherigen Sanktionen ohnehin nicht weit genug. »Bulgarien simuliert Lösungen, die das Land nicht hat«, sagt die EVP-Abgeordnete. »Das Sperren der Mittel ist nur eine Notbremse. Die Frage muss sein, wie man den Zug wieder in Bewegung setzt.«
Premierminister Sergej Stanischew hat darauf eine ganz eigene Antwort gefunden: Im Februar bat er EU- Kommissionspräsident Manuel Barroso, mehr europäische Experten ins Land zu schicken, um die Politik direkt zu überwachen und so den Bulgaren einen Teil der Verantwortung aus der Hand zu nehmen. »Das ist eindeutig der Versuch, vom eigenen Scheitern abzulenken«, sagt dazu Ognian Boyadjiew. Auch die EU-Kommission hält den Aufbau von Parallelstrukturen - hier eine bulgarische Regierung, dort EU-Experten - nicht für eine gute Lösung. Schließlich, so Kommissionssprecher Mark Gray, hätten Kommission und Mitgliedsstaaten Bulgarien in den zurückliegenden Jahren bereits erheblich geholfen und würden sie weiter dabei unterstützten, die Verpflichtungen, die das Land durch seinen Beitritt eingegangen sei, zu erfüllen.
Davon ist Bulgarien freilich weit entfernt: Selbst in Zeiten hohen Wirtschaftswachstums habe sich die Regierung immer weniger darum bemüht, der Korruption beizukommen, sagt CSD- Experte Stefanow. Die Anzahl der mit Korruption und Organisierter Kriminalität zusammenhängenden Anklagen, die es bis in den Gerichtssaal schaffen, ist zwischen 2005 und 2008 um 30 Prozent gesunken, hat das CSD in seinem jährlichen Korruptionsbericht ermittelt. Vier Fünftel der Fälle wurden dann vorzeitig eingestellt.
Viele Bulgaren wünschen sich von der EU härtere Sanktionen.
So verdecken Unterschleif und Kriminalität all die Fortschritte, die im Boom der vergangenen Jahre gemacht wurden. Nach Meinung von Mitko Wassilew, dem Chef der Deutsch-Bulgarischen Handelskammer in Sofia, verfügt Bulgarien über gut ausgebildete Arbeitskräfte, hat mit einheitlich zehn Prozent einen ausgesprochen niedrigen Steuersatz auf Einkommen und Gewinne und könnte seine gute Lage zwischen Schwarzem Meer und Balkan nutzen, um sich als regionale Wirtschaftsdrehscheibe zu etablieren. Schon in den vergangenen Jahren erreichten die ausländischen Investitionen einen Rekordbetrag von 12,5 Milliarden Euro, sagt Wassilew. Mehr wäre möglich, wenn die Krise wieder vorüber ist.
Dass es tatsächlich mehr wird, glauben die meisten Bulgaren allerdings nicht - jedenfalls solange bulgarische Politiker das Heft in der Hand behalten. Vier von fünf Bürgern des Landes misstrauen allen politischen Parteien und der nationalen Regierung. Dagegen vertrauen 58 Prozent der Bevölkerung der Europäischen Union. Die Strafen durch die EU akzeptiert das Volk nicht nur, viele wünschen sich sogar noch härtere Sanktionen, damit sich im Land etwas ändert.
Auch Dinko Gospodinow, der bei den bulgarischen Grünen aktiv ist, wären massive Eingriffe Europas in die Innenpolitik Bulgariens nur recht. EU-Vertreter sollten im Land das »Management« übernehmen, meint er. Sonst werde sich wenig ändern - ganz gleich, welche bulgarische Partei im Sommer an die Macht kommt.