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12-12-2007

«UNS KÖNNEN NUR NOCH GOTT UND DIE EUROPÄISCHE UNION HELFEN»

Tages-Anzeiger Online - 10. Dez. 2007.

Ist Bulgarien in der Hand der Mafia? Wir haben die Wende mit grosser Hoffnung erwartet. Ich erinnere mich an die ersten Demonstrationen in Sofia. ... Der bulgarische Schriftsteller Vladimir Zarev über sein Land im Würgegriff der Mafia.

Mit Vladimir Zarev sprach Bernhard Odehnal in Wien.


In ihrem Roman «Verfall» beschreiben Sie Ihr Land als grossen Selbstbedienungsladen für sozialistische Funktionäre und Kriminelle. Ist Bulgarien in der Hand der Mafia?

Wir haben die Wende mit grosser Hoffnung erwartet. Ich erinnere mich an die ersten Demonstrationen in Sofia. Die Menschen gingen auf die Strasse voller Energie und voller Wut. Leider haben wir den Übergang zu einer Demokratie nie geschafft. Heute herrscht Anarchie.

Anarchie? Auch Bulgarien hat doch ein demokratisch gewähltes Parlament, eine funktionierende Exekutive?

Wir haben Redefreiheit und freie Medien. Das ist eine grosse Errungenschaft. Aber Freiheit ist ein persönliches Gefühl. Demokratie hingegen ist eine Form der Macht, und sie ist nur dann von Vorteil, wenn vor dem Gesetz alle gleich sind. Wenn die Regeln nicht eingehalten werden, geht Demokratie leicht in Anarchie über. Bei uns haben heute jene die Macht, die Gesetze und Regeln ignorieren.

Das Buch erschien 2007 in der deutschen Übersetzung, geschrieben wurde es 2003. Hat sich Bulgarien seither zum Besseren verändert?

Das Wichtigste in dieser Zeit war der Beitritt zur Europäischen Union. Jetzt hoffen wir, dass die EU dafür sorgt, dass auch in Bulgarien die Gesetze eingehalten werden.

Ist es nur eine Hoffnung, oder sehen Sie bereits Verbesserungen?

Im Herbst streikten die Lehrer für mehrere Wochen, weil sie von Gehältern zwischen 150 und 200 Euro pro Monat nicht mehr leben können. Aber die Regierung behauptete, es gebe kein Geld. Vor zwei Jahren wurde die bulgarische Telecom für 200 Millionen Euro an eine mysteriöse Offshore-Gesellschaft verkauft. Vor kurzem wurde das Unternehmen für 1,4 Milliarden Euro weiterverkauft! Hätte die Regierung den Konzern gleich zu seinem wahren Wert verkauft, hätte sie Lehrergehälter für einige Jahre bezahlen können. Daran sieht man, wie eng die politische Klasse mit der Mafia verzahnt ist: Vom Verkauf des riesigen Staatsvermögens profitiert ein kleiner Kreis von Kriminellen. Wir müssten zwei, drei der grössten Mafiosi vor Gericht sehen, damit wir wieder in den Staat vertrauen könnten. Aber das geschieht nicht.

Also ist keine Besserung in Sicht?

Seit 18 Jahren leben wir in der Dämmerung. Es ist nicht mehr ganz finster, aber noch nicht hell. Wir wissen nur: Irgendwann wird der Morgen kommen. Heute liegt die Verbesserung alleine in der Hoffnung, dass unsere Politiker durch die Kontrolle der EU allmählich ehrlicher werden. Uns können nur noch Gott und die Europäische Union helfen.

Ist Bulgarien unter den neuen EU-Staaten ein Sonderfall?

Nein, aber hier wurden alle negativen Phänomene des Wandels übertrieben. Bulgarien hatte eine starke Nomenklatura und einen noch stärkeren Geheimdienst. Diese Strukturen haben ihre Macht erfolgreich verteidigt. Sie blockierten alle Versuche, Kontrollmechanismen einzuführen, weckten in den Menschen alte Ängste, zerstörten das Immunsystem der Gesellschaft und vernichteten den Reichtum des Staates. Der Wert des Staatseigentums soll 120 Milliarden Dollar betragen haben. Aber durch die Privatisierung bekam der Staat weniger als 10 Milliarden. Der Rest wurde den Mafiabossen geschenkt. Es gab eine Zeit, in der zwei Mafiaorganisationen die gesamte Wirtschaft kontrollierten. Ihre Bosse wurden ermordet, aber deren Nachfolger sind heute gesellschaftlich legitimiert und gehören zu den reichsten Bulgaren.

Auch die Nachfolger haben kein langes Leben. Wieso werden in Bulgarien so viele Auftragsmorde verübt?

Es gibt zu viele, die am Kuchen mitnaschen wollen. Und viele Mafiabosse wurden zu selbstständig. Sie hielten sich tatsächlich für grosse Manager und wollten den Profit nicht an die Hintermänner weitergeben.

Wer sind diese Hintermänner, über die Sie auch im Buch schreiben?

Die Leute aus dem Geheimdienst, aus den Parteikadern. So wie der ehemalige Ministerpräsident Andrei Lukanow, der 1996 ermordet wurde. Während seiner Regierungszeit verschwanden Währungsreserven von 4 Milliarden Dollar. Wir wissen bis heute nicht wohin. Noch schlimmer aber ist, dass durch die kriminellen Machenschaften der Politik das Wertesystem der Menschen ruiniert wurde. Seit vielen Jahren stehen intelligente, gut ausgebildete und ehrlich arbeitende Menschen als Dummköpfe da. Die Mafiosi sind die wahren Helden unserer Zeit, über sie berichten die Medien, ihre Geburtstage und Hochzeiten werden von den Politikern besucht. Das hat intelligente, vernünftig denkende Leute sehr verwirrt, und sie suchen nach einer politischen Heimat.

Und finden sie in der rechtsextremen Gruppe Ataka, die bei den letzten Wahlen unerwartet gut abschnitt?

Ataka ist eigentlich keine extrem rechte, sondern eine extrem linke Gruppe. Dort versammeln sich Menschen, die von der Ungerechtigkeit in Bulgarien unendlich enttäuscht sind und die keine andere Partei sehen, die sie vertreten würde.
In «Verfall» beschreiben Sie das Leben der neureichen Mafiosi sehr detailliert. Wie waren die Reaktionen in Bulgarien?
«Verfall» ist jetzt in der achten Auflage, viele Menschen erkennen darin ihre persönlichen Geschichten, ihre kleinen Hoffnungen und grossen Enttäuschungen. Und jedes Mal, wenn ein Mafiaboss erschossen wird, sagen sie: Du hast es vorausgesehen.

Bekamen Sie auch Drohungen?

Gott sei Dank nicht. Aber ich weiss, dass die Mafia schon mal ein paar Hundert Stück des Buches aufkaufte, weil es aus den Geschäften verschwinden sollte.

Vladimir Zarev, 60, stammt aus Sofia und gibt dort die Literaturzeitschrift «Savremennik» (Zeitgenosse) heraus. Er hat 15 Romane geschrieben. In seiner Heimat und darüber hinaus berühmt machte ihn der 2003 erschienene Roman der Wendejahre «Rasrucha» (Verfall), in dem er den Überlebenskampf eines Schriftstellers mit dem Aufstieg eines kleinen Beamten zum Grosskriminellen verknüpft. 2007 erschien das Buch in deutscher Übersetzung bei Kiepenheuer & Witsch.
Am 13. Dezember, 20 Uhr, diskutiert Zarev mit seinem Übersetzer Thomas Frahm im Zürcher Literaturhaus (Limmatquai 62) über den Roman und den Verfall Bulgariens.


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