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21-11-2008

Kein Rückfall in alte Zeiten

Von Michael Martens, Frankfurter Allgemeine Zeitung

War es falsch oder zumindest voreilig, Bulgarien und Rumänien im vergangenen Jahr in die EU aufzunehmen? Wer sein Urteil nur darauf stützt, was in den Medien über die beiden jüngsten Mitglieder der Union zu erfahren ist, wird sich dem Eindruck kaum entziehen können, dass es vielleicht besser gewesen wäre, damit noch etwas zu warten. Auch die Berichte der Europäischen Kommission über die Reformen in beiden Ländern nach ihrem Beitritt enthalten noch viel Beunruhigendes.

Doch ganz so düster sind die Aussichten nicht. Zunächst wird die gewohnheitsmäßige Gleichsetzung von Bulgarien und Rumänien beiden Staaten nicht gerecht. Nur weil es sich um Nachbarn handelt, die gleichzeitig der EU beigetreten sind, stehen sie noch lange nicht vor denselben Schwierigkeiten. In Bukarest wie in Sofia spielen mächtige Seilschaften aus den Zeiten der Diktatur nach wie vor eine unheilvolle Rolle. Die Regime dieser Länder waren aber so unterschiedlich wie heute deren giftige Ausdünstungen.

Korruption und Kriminalität nur ein Ausschnitt der Wirklichkeit

Rumänien hat seit seinem EU-Beitritt unter tatkräftiger Mithilfe des Parlaments beim Kampf gegen die Korruption besorgniserregende Rückschritte gemacht. Von Bulgarien lässt sich das nicht behaupten, da Rückschritte selten drohen, wenn es keine Fortschritte gab und schon die Ausgangslage miserabel war. Allerdings steht der bulgarische Staat heute zu Unrecht in dem Ruf, seine Säulen seien nur unfähige Politiker, korrupte Beamte und die Mafia mitsamt ihren treffsicheren Auftragsmördern und deren halbseidenen Opfern.
Jede neue bestellte Tötung in der Sofioter Innenstadt nährt dieses Klischee. Doch die Medien, selbst die seriösen, berichten stets nur einen Ausschnitt der Wirklichkeit, und was davon in der Öffentlichkeit haften bleibt, ist meist nur noch ein Ausschnitt dieses Ausschnitts. Mit dem ganzen Bild hat das meistens nicht mehr viel gemein. Darunter leidet derzeit auch Bulgarien.

Es ist richtig, dass Brüssel und die Mitgliedstaaten mit aller Strenge auf das Land blicken. Doch dabei wird mitunter übersehen, dass es dort jetzt endlich erste Fortschritte einer gegen Korruption und organisierte Kriminalität gerichteten Politik gibt. Die Anklagen wegen der Veruntreuung von EU-Geldern in jüngster Zeit versprechen zumindest eine Wende zum Besseren.

Außerdem lässt sich der Beitritt Bulgariens zur EU auch grundsätzlich anders erzählen - als Geschichte einer gewaltigen Modernisierung und Veränderung, die nur von der EU angestoßen werden konnte. Denn die krassen Mängel des Justizsystems bei der Bekämpfung der Schmiergeldökonomie und einem kriminellen Oligarchenunwesen sind, wie gesagt, nur ein Ausschnitt aus dem Bild. Wählt man einen anderen, zeigt sich, dass das Land heute eindeutig im Westen verankert ist, und zwar nicht nur wirtschaftspolitisch. Noch Mitte der neunziger Jahre war nicht selbstverständlich, dass es so kommen würde.

Wohlgeordnetes Land mit mehreren Millionen unbescholtenen Bürgern

Bulgarien stand damals auf der Kippe. Unter dem kleptokratischen Regime einer unreformierten Nachfolgepartei der Kommunisten erlitt das Land einen wirtschaftlichen Zusammenbruch, der selbst im ehemaligen Ostblock beispiellos war. Dass ein blutiger Konflikt oder ein langwieriger Rückfall in alte Zeiten ausblieben, ist der EU zu verdanken. Seit 1997 hat sich Bulgarien in der Vorbereitung auf das zunächst noch fast symbolische Ziel einer EU-Mitgliedschaft wesentlich und irreversibel verändert.

Berichte über diesen Wandlungsprozess erregen aber nur selten Aufmerksamkeit, denn die zutiefst technischen Erfolgsgeschichten der EU sind oft sterbenslangweilig. Sie taugen nicht für Schlagzeilen. Es geht um Ausschreibungen für Kläranlagen und Mülldeponien, die Neuordnung des Katasterwesens, Landrestitution, Mittelstandsförderung oder die Einführung verlässlicher Statistiken über die Milchleistung von Kühen. Wahrlich nichts Spannendes. Aber in vielen tausend dieser für sich genommen unscheinbaren Reformen und Verwaltungsakte spiegelt sich eine Wirklichkeit, die oft übersehen wird: die eines wohlgeordneten Landes mit mehreren Millionen unbescholtenen Bürgern. Fast unsichtbar steht dieses andere Bulgarien im Schatten von Nachrichten über korrupte Richter und Staatsanwälte oder eine bis in die gewählte Oberwelt bestens vernetzte, zum Teil gar in Personalunion mit ihr verbundene Unterwelt.

In einer noch unveröffentlichten Studie haben ausländische Wissenschaftler unlängst minutiös die Veränderungen untersucht, die von der EU im vergangenen Jahrzehnt allein in der Landwirtschaft und beim Umweltschutz Bulgariens angestoßen wurden. Das Ergebnis ist beeindruckend. Kein Stein wurde auf dem anderen gelassen. Das liegt nicht allein an den europäischen Milliarden, die nach Bulgarien geflossen sind und die EU zu dem mit Abstand wichtigsten Investor gemacht haben, obwohl sie in den einschlägigen Statistiken nicht auftaucht. Es hat vor allem mit dem allmählichen Aufbau stabiler Institutionen zu tun, die erst durch die Vorbereitung auf die Mitgliedschaft entstanden sind. Die EU hat manches falsch gemacht in Bulgarien - und sich womöglich tatsächlich zu früh auf einen Beitritt festgelegt. Aber versagt hat sie nicht.

 



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