07-12-2008
Die Antwort Europas auf die globale Finanzkrise
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Der EU-Gipfel Mitte Oktober beschloss Maßnahmen zur Bewältigung der Folgen der globalen Finanzkrise. Unmittelbar vor diesem Gipfel hatten die Länder der Eurogruppe und Großbritannien einen Leitfaden zur Rettung angeschlagener Banken abgesprochen. Ziel ist die Wiederherstellung des Vertrauens auf den Finanzmärkten. Hierzu gehören massive Garantieerklärungen für Bankverbindlichkeiten, nicht nur zur Einlagensicherung, sondern auch für Interbankgeschäfte und Zusagen zur Rekapitalisierung von Banken mit staatlichen Mitteln. Die 27 EU-Länder bekräftigten diesen Plan zur Bewältigung der Krise und vereinbarten koordinierte Handlungen. Die EU-Finanzminister ihrerseits einigten sich auf eine Erhöhung der Einlagensicherung von bisher 20.000 auf 50.000 Euro. Kaum ein Monat später folgte ein G-20-Gipfel in Washington.
Die europäischen Spitzenpolitiker bemühen sich scheinbar redlich, um eine Ausweitung der Finanzkrise auf die Europäische Union zu verhindern. Sind aber die von Brüssel getroffenen Entscheidungen ausreichend? Welche Länder können am meisten von der Krise betroffen werden und welche brauchen nicht um ihr Geld zu bangen? Georgi Angelow, Wirtschaftsexperte des Open-Society-Institute, ist der Meinung, dass das alte Europa viele Probleme abgehäuft hat, die in kurzfristiger Sicht nicht gelöst werden können.
Die europäischen Spitzenpolitiker bemühen sich scheinbar redlich, um eine Ausweitung der Finanzkrise auf die Europäische Union zu verhindern. Sind aber die von Brüssel getroffenen Entscheidungen ausreichend? Welche Länder können am meisten von der Krise betroffen werden und welche brauchen nicht um ihr Geld zu bangen? Georgi Angelow, Wirtschaftsexperte des Open-Society-Institute, ist der Meinung, dass das alte Europa viele Probleme abgehäuft hat, die in kurzfristiger Sicht nicht gelöst werden können.
„Praktisch sieht es so aus, dass Europa auf diese Krise nicht vorbereitet ist“, versichert Angelow. „Die Regierungen haben Haushaltsdefizite und Schulden sogar in den wirtschaftsstarken Jahren angehäuft und nun bleiben einem keine großen Manövriermöglichkeiten. Die Banken haben mit einem minimalen Kapital gearbeitet, anstatt Reserven für schlechte Zeiten anzulegen. Nun erweist sich ihr Kapital als unzureichend und eine Rekapitalisierung ist erforderlich. Dieses Problem steht und gestattet nur wenig Reaktionsfreiheit. Europa hat es nicht vermocht, die letzten guten Jahre für eine beschleunigte Erweiterung des Eurogebietes zu nutzen. Es hätte der Einfluss des Euro als starke und für Investitionen lukrative europäische Währung erhöht werden können. Gleichzeitig damit hätten die kleineren Länder besser vor der Krise geschützt werden können.“
Reichen die Maßnahmen aus, um die Krise in Europa einzudämmen und was steht noch aus? Dazu der Wirtschaftsexperte des Open-Society-Institutes:
„Die Maßnahmen reichen in gewissem Sinne aus, damit das Finanzsystem nicht schmilzt oder zusammenbricht. Sie können aber nicht Fehler aus der Vergangenheit und andere Probleme lösen“, analysiert Georgi Angelow. „Die EU-Wirtschaft ist nicht die konkurrenzfähigste und dynamischste in der Welt. In diesem Zusammenhang sind auch die europäischen öffentlichen Finanzen und die Staatshaushalte und auch der EU-Haushalt selbst keinesfalls ein Antrieb des Wachstums. Oftmals behindern sie die Wirtschaft sogar. Aus diesem Grund müssen die Maßnahmen in der Wirtschaft selbst getroffen werden. Wir müssen sie nicht nur schlechthin vor Katastrophen bewahren, sondern ihr auch Möglichkeiten zur Entfaltung bieten. Und das ist das fundamentale Problem. Außerdem würde eine klare Politik zur Erweiterung des Eurogebietes besser zur Eindämmung der Panik beitragen.“
Laut Georgi Angelow sei Island ein gutes Beispiel dafür, wie ein kleines Land mit einer „kleinen“ Währung und einem großem Banksystem Opfer einer Krise werden kann - ganz einfach weil es nicht mit der Europäischen Zentralbank verbunden ist. „Das Banksystems Islands war so üppig, dass das Land kurzerhand pleite ging, als es versuchte dieses zu retten“, konstatiert der Wirtschaftsexperte. Wir fragten ihn, ob auch andere Länder das Schicksal Islands ereilen könnte?
„Prinzipiell ist das nicht ausgeschlossen. Das gilt vor allem für jene Länder, die Island gleichen“, lautet die Meinung von Georgi Angelow. „Kleine“ Währungen besitzen unter den europäischen Staaten Schweden, Dänemark und die Schweiz. Auch in Osteuropa besitzen viele eine eigene Währung. Großbritannien seinerseits hat auch seine eigene Währung, die zwar nicht als klein einzustufen ist, jedoch bedeutend kleiner als der Euro und der Dollar ist. Es gibt auch Länder mit einem großen Banksystem, wie die Schweiz, Irland und einigen skandinavischen Staaten, in denen im Vergleich zu den Bankfinanzen das Bruttoinlandsprodukt bescheiden ausfällt. Die derzeitige Krise zeigt deutlich, dass die Ausdehnung des Eurogebietes nicht nur von Nutzen für die gesamte Europäische Union, sondern insbesondere für die kleinen Länder ist. Jene, die gegen die Einführung des Euro waren, haben mittlerweile ihre Meinung geändert. Die meisten Menschen in Dänemark beispielsweise sind für die gemeinsame europäische Währung. Island, dass weder der EU noch der Währungsunion beitreten wollte, ist nun zu diesem Schritt bereit. Einen ähnlichen Meinungswechsel können wir auch in der Schweiz und warum nicht auch in Großbritannien erwarten.“ So die Prognose des Wirtschaftsexperten vom Open-Society-Institute. Das Vertrauen im Euro wächst, meint seinerseits Martin Saimow, Mitglied des Leitungsrates der „Societe Generale Expressbank“ in Sofia. Er sieht eine sehr interessante Evolution der gemeinsamen europäischen Währung.
„Nur wenige Menschen sind sich bewusst, dass der Euro als Produkt einer Institution, wie es die Europäische Zentralbank ist, eine einzigartige Währung darstellt“, sagt Saimow weiter und betont: „Niemals zuvor hat es in der Menschheitsgeschichte Geldemissionen einer Institution gegeben, die von der öffentlichen Macht und der Macht vollständig getrennt ist, die das Recht hat, Steuern zu akkumulieren.“
Die Krise im Vertrauen gegenüber dem Banksystem scheint angesichts der umfangreichen Maßnahmen überwunden zu sein, die Europa und die USA im globalen Maßstab treffen. Ist dem wirklich so, fragten wir den Bankier.
„Das grundlegende Problem ist weniger im geschwundenen Vertrauen der Öffentlichkeit und der Verbraucher in den Banken zu suchen, als im zerrütteten Vertrauen der Banken untereinander“, ist Martin Saimow überzeugt. „Die USA und Europa befürchten, dass dieser Vertrauensbruch dem Vertrauen in das Finanzsystem selbst schaden wird. Genau darauf sind die Maßnahmen der USA und Europas ausgerichtet.“
Laut Martin Saimow geschehe derzeit etwas wichtiges, was jedoch kaum beachtet wird.
„Mit einem Mal wurde die Macht der Politiker über die einflussreichen Personen in der Wirtschaft wiederhergestellt“, kommentiert der Bankier. „In den letzten 30 bis 40 Jahren haben die Wirtschaftssubjekte ungeheure Macht entfaltet, wie nie zuvor. Derzeit ist es aber so, dass man nur den Politikern vertraut, die Krise zu bewältigen und die Zukunft in dieser Beziehung sicherer zu gestalten. Die Politiker ihrerseits werden ihrer Rolle gerecht, wenn auch nicht problemlos. Der jahrelange Verlust an Macht und Ansehen hat zu einem Verlust an Kompetenz geführt.“
Was denken die gewöhnlichen Menschen über die globale Finanzkrise? In einer Umfrage auf Sofias Straßen wollten wir erfahren, ob die Durchschnittsbürger mit den Maßnahmen zufrieden sind, die die Europäische Union zur Bewältigung der Krisenerscheinungen ergreift.
Wesselin Feslijski, ein 59 Jahre alter Soziologe, meint, dass die EU ernsthafte Maßnahmen treffe. Ob es jedoch die richtigen sind, werde die Zukunft zeigen.
„Alle sagen, dass die osteuropäischen Länder besonders gefährdet seien. Bulgarien, in dem ein Währungsrat amtiert, mit seinen Banken, die hohe Gewinne verbuchen, dürfte weniger befürchten“, sagt Feslijski weiter. „Die Hilfe für die europäischen Banken und vor allem die starken staatlichen Stützungen deuten darauf hin, dass die Finanzwelt stark geschockt ist und die Folgen ernst sein werden. Die Produktion wird schrumpfen, die Arbeitslosigkeit steigen und damit wird eine neue Krise auf uns zukommen, die meiner Meinung nach die Fundamente der Europäischen Union selbst stark erschüttern wird. Die Europäische Verfassung ist gescheitert und der Vertrag von Lissabon ist seinerseits auch auf Ablehnung gestoßen. Es herrschen Meinungsverschiedenheiten unter den EU-Ländern. Die Krisenerscheinungen schüren nur die Spaltungsprozesse. Brüssel fasst zwar Entscheidungen – diese müssen aber in jedem einzelnen Land bestätigt und umgesetzt werden. Es ist auch kaum zu erwarten, dass die EU ein sicheres Modell zur Krisenbewältigung erstellen kann. Und dennoch denke ich, dass uns die Krise in Bulgarien weniger treffen wird, denn für gewöhnlich haben die ärmeren Menschen weniger zu verlieren.“ So die Ansichten von Wesselin Feslijski. Die nächste zufällige Passantin, die wir nach ihrer Meinung befragten, ist eine 45jährige Diplom-Wirtschaftlerin. Sie sieht das Familienbudget gefährdet, ganz einfach weil es an entsprechenden Ersparnissen fehle. Ob die EU-Maßnahmen Bulgarien helfen werden, die Krise weniger zu spüren, kann sie nicht einschätzen. Wie fühlt sie sich?
„Bislang fühle ich mich noch sicher, denn noch spürt man nicht, was los ist“, sagt Borjana Dimitrowa. „Man hat bis jetzt betont, dass uns die Krise weniger treffen wird; ich denke aber, dass sie nicht an uns vorbeigeht. Es wird Kürzungen geben, viele Unternehmen werden pleite gehen. Vor allen das Bauwesen wird einen Rückgang erleben, ganz einfach weil die Nachfrage nach Immobilien sinken wird.“
Rossitza Zenkowa, eine 38jährige Friseuse, meint, dass die Krise nicht ernsthaft in Bulgarien wüten werde, da das Land in den letzten Jahren so schon krisengeschüttelt ist. Noch dazu sei Bulgarien ein kleines Land ohne große Industrie und umfangreiche Produktion.
„Es fällt mir stark auf, dass in allen Medien immer wieder gesagt wird, dass uns die Krise im kommenden März überrollen werde – eine Katastrophe für jeden Haushalt... Ich denke, dass man die Sache künstlich aufbauscht und das behindert die Menschen, normal und ruhig zu leben und zu arbeiten“, entrüstet sich Rossitza Zenkowa. „Ich persönlich bin weder gelassen noch bin ich beängstigt von der Krise, oder den Maßnahmen, die die EU trifft. Bulgarien ist ein kleines Land und immer waren wir von irgend jemanden oder irgendwas abhängig. Ich habe erfahren, dass die Menschen in den großen EU-Ländern bereits bei weitem stärken betroffen sind – viele werden entlassen, bleiben ohne Arbeit und Einkommen. Ich als Friseuse kann in meinem Beruf nicht über einen Rückgang der Kundenzahl klagen. Die Preise sind nicht hoch und einen Haarschnitt kann sich jeder leisten.“
Telephonisch haben wir uns mit Graham Watson in Verbindung gesetzt. Er ist britischer Europapolitiker und seit 2004 Vorsitzender der neu gebildeten Fraktion der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa. Wir fragten ihn, ob die EU zureichend flexibel ist, um in solchen kritischen Situationen, wie der jetzigen globalen Finanzkrise, fertig zu werden?
„Nach dem G-20-Treffen und den Treffen innerhalb der Europäischen Union befinden wir uns in einer bei weitem besseren Lage, um den Herausforderungen der globalen Finanzkrise zu begegnen“, meint Graham Watson. „Keiner kann natürlich sagen, wie lang und tiefgreifend die Rezession sein wird. Wir haben aber die Leitung unserer Wirtschaftspolitik eingehend analysiert und sind zu der Schlussfolgerung gelangt, dass eine gewisse Flexibilität notwendig ist, was die Umsetzung unserer Kriterien anbelangt. Gleichzeitig damit sind wir der Ansicht, dass wir uns an die Lissabonner Strategie über das Wirtschaftswachstum halten müssen, wenn wir Erfolg haben wollen. Während einige Länder der Europäischen Union bereits in der Rezession stecken, haben wir zu unserer Freude feststellen müssen, dass andere Länder, wie Bulgarien und Rumänien weiterhin ein stabiles Wirtschaftswachstum verzeichnen“, sagt der britische Europapolitiker.
Wie will die Europäische Union der Wirtschaftskrise begegnen und welche Maßnahmen sind in dieser Richtung vorgesehen?
„Die Liberaldemokraten sprachen sich für die Einrichtung eines europäischen Finanzorgans aus, das eine Art Aufsichtsbehörde darstellen und die Tätigkeit der Banken und der anderen Finanzanstalten koordinieren kann. Leider haben wir zu dieser Frage keine Einigkeit erzielt, werden aber die Idee weiter diskutieren, denn nur mit Transparenz und richtigen Einschätzungen auf den Finanzmärkten können einige Unzulänglichkeiten vermieden werden“, versichert Graham Watson.
Inwieweit können die Bürger den Institutionen vertrauen, die sie vor der Finanzkrise schützen wollen?
„Nun, die wohl wichtigste Lehre aus der jetzigen Finanzkrise ist die, dass wir versuchen müssen, sie gemeinsam zu bewältigen, wenn wir überleben wollen“, antwortet der Fraktionsvorsitzende der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa. „Sobald jeder versucht, allein mit der Krise fertig zu werden, selbständig verschiedene Maßnahmen trifft und Politik betreibt, werden wir ohne Zweifel alle zusammen untergehen. Der große Vorteil der EU-Mitgliedschaft besteht gerade in der Solidarität in schweren Zeiten.“
Sind wir nun Zeugen des Endes des Kapitalismus und des Entstehens einer neuen Wirtschaftsordnung?
„Ich denke nicht, dass wir Zeugen des Endes des Kapitalismus sind, hoffe aber, dass wir Zeugen einer Rezession sind, die eine größere Aufmerksamkeit gegenüber der Qualität und Intensität des Wirtschaftswachstums zeugen wird“, meint der britische Europaabgeordnete Watson. „In den kommenden 20 Jahren wird sich das Bruttoinlandsprodukt in der Welt voraussichtlich verdoppeln und das trotz der jetzigen Krise. Sobald das Wirtschaftswachstum aber vor allem auf der Nutzung der begrenzten Naturressourcen beruhen und der Umwelt kein Rechnung tragen sollte, wird es der Menschheit derart schaden, wie es heute einigen wenigen Wohlstand bringt. Das, was wir jetzt tun müssen ist, ein vernünftiges und intelligentes Wachstum zu erreichen, das nachhaltig ist und auf der sogenannten „grünen Wirtschaft“ fußt“, empfiehlt Graham Watson, britischer Europapolitiker und Vorsitzender der Fraktion der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa.
Damit geht die heutige Sendung zu Ende, liebe Hörerinnen und Hörer. Die Beiträge zum Projekt „Heute – Partnerschaft mit dem Europaparlament“ des Europäischen Instituts werden von Radio Bulgarien, RFI Rumänien und Yvelines Radio Frankreich ausgestrahlt. Finanziell gestützt wird das Projekt von der Generaldirektion „Kommunikation“ des Europäischen Parlaments.
Ihre Fragen und Meinungen können sie uns Mailen – unsere Adresse lautet: info@europe.bg Nähere Informationen erhalten sie auch auf folgender Seite: http://parliament.europe.bg
Autoren: Tanja Harisanowa, Maja Pelowska und Weneta Nikolowa
Übersetzung: Wladimir Wladimirow
Reichen die Maßnahmen aus, um die Krise in Europa einzudämmen und was steht noch aus? Dazu der Wirtschaftsexperte des Open-Society-Institutes:
„Die Maßnahmen reichen in gewissem Sinne aus, damit das Finanzsystem nicht schmilzt oder zusammenbricht. Sie können aber nicht Fehler aus der Vergangenheit und andere Probleme lösen“, analysiert Georgi Angelow. „Die EU-Wirtschaft ist nicht die konkurrenzfähigste und dynamischste in der Welt. In diesem Zusammenhang sind auch die europäischen öffentlichen Finanzen und die Staatshaushalte und auch der EU-Haushalt selbst keinesfalls ein Antrieb des Wachstums. Oftmals behindern sie die Wirtschaft sogar. Aus diesem Grund müssen die Maßnahmen in der Wirtschaft selbst getroffen werden. Wir müssen sie nicht nur schlechthin vor Katastrophen bewahren, sondern ihr auch Möglichkeiten zur Entfaltung bieten. Und das ist das fundamentale Problem. Außerdem würde eine klare Politik zur Erweiterung des Eurogebietes besser zur Eindämmung der Panik beitragen.“
Laut Georgi Angelow sei Island ein gutes Beispiel dafür, wie ein kleines Land mit einer „kleinen“ Währung und einem großem Banksystem Opfer einer Krise werden kann - ganz einfach weil es nicht mit der Europäischen Zentralbank verbunden ist. „Das Banksystems Islands war so üppig, dass das Land kurzerhand pleite ging, als es versuchte dieses zu retten“, konstatiert der Wirtschaftsexperte. Wir fragten ihn, ob auch andere Länder das Schicksal Islands ereilen könnte?
„Prinzipiell ist das nicht ausgeschlossen. Das gilt vor allem für jene Länder, die Island gleichen“, lautet die Meinung von Georgi Angelow. „Kleine“ Währungen besitzen unter den europäischen Staaten Schweden, Dänemark und die Schweiz. Auch in Osteuropa besitzen viele eine eigene Währung. Großbritannien seinerseits hat auch seine eigene Währung, die zwar nicht als klein einzustufen ist, jedoch bedeutend kleiner als der Euro und der Dollar ist. Es gibt auch Länder mit einem großen Banksystem, wie die Schweiz, Irland und einigen skandinavischen Staaten, in denen im Vergleich zu den Bankfinanzen das Bruttoinlandsprodukt bescheiden ausfällt. Die derzeitige Krise zeigt deutlich, dass die Ausdehnung des Eurogebietes nicht nur von Nutzen für die gesamte Europäische Union, sondern insbesondere für die kleinen Länder ist. Jene, die gegen die Einführung des Euro waren, haben mittlerweile ihre Meinung geändert. Die meisten Menschen in Dänemark beispielsweise sind für die gemeinsame europäische Währung. Island, dass weder der EU noch der Währungsunion beitreten wollte, ist nun zu diesem Schritt bereit. Einen ähnlichen Meinungswechsel können wir auch in der Schweiz und warum nicht auch in Großbritannien erwarten.“ So die Prognose des Wirtschaftsexperten vom Open-Society-Institute. Das Vertrauen im Euro wächst, meint seinerseits Martin Saimow, Mitglied des Leitungsrates der „Societe Generale Expressbank“ in Sofia. Er sieht eine sehr interessante Evolution der gemeinsamen europäischen Währung.
„Nur wenige Menschen sind sich bewusst, dass der Euro als Produkt einer Institution, wie es die Europäische Zentralbank ist, eine einzigartige Währung darstellt“, sagt Saimow weiter und betont: „Niemals zuvor hat es in der Menschheitsgeschichte Geldemissionen einer Institution gegeben, die von der öffentlichen Macht und der Macht vollständig getrennt ist, die das Recht hat, Steuern zu akkumulieren.“
Die Krise im Vertrauen gegenüber dem Banksystem scheint angesichts der umfangreichen Maßnahmen überwunden zu sein, die Europa und die USA im globalen Maßstab treffen. Ist dem wirklich so, fragten wir den Bankier.
„Das grundlegende Problem ist weniger im geschwundenen Vertrauen der Öffentlichkeit und der Verbraucher in den Banken zu suchen, als im zerrütteten Vertrauen der Banken untereinander“, ist Martin Saimow überzeugt. „Die USA und Europa befürchten, dass dieser Vertrauensbruch dem Vertrauen in das Finanzsystem selbst schaden wird. Genau darauf sind die Maßnahmen der USA und Europas ausgerichtet.“
Laut Martin Saimow geschehe derzeit etwas wichtiges, was jedoch kaum beachtet wird.
„Mit einem Mal wurde die Macht der Politiker über die einflussreichen Personen in der Wirtschaft wiederhergestellt“, kommentiert der Bankier. „In den letzten 30 bis 40 Jahren haben die Wirtschaftssubjekte ungeheure Macht entfaltet, wie nie zuvor. Derzeit ist es aber so, dass man nur den Politikern vertraut, die Krise zu bewältigen und die Zukunft in dieser Beziehung sicherer zu gestalten. Die Politiker ihrerseits werden ihrer Rolle gerecht, wenn auch nicht problemlos. Der jahrelange Verlust an Macht und Ansehen hat zu einem Verlust an Kompetenz geführt.“
Was denken die gewöhnlichen Menschen über die globale Finanzkrise? In einer Umfrage auf Sofias Straßen wollten wir erfahren, ob die Durchschnittsbürger mit den Maßnahmen zufrieden sind, die die Europäische Union zur Bewältigung der Krisenerscheinungen ergreift.
Wesselin Feslijski, ein 59 Jahre alter Soziologe, meint, dass die EU ernsthafte Maßnahmen treffe. Ob es jedoch die richtigen sind, werde die Zukunft zeigen.
„Alle sagen, dass die osteuropäischen Länder besonders gefährdet seien. Bulgarien, in dem ein Währungsrat amtiert, mit seinen Banken, die hohe Gewinne verbuchen, dürfte weniger befürchten“, sagt Feslijski weiter. „Die Hilfe für die europäischen Banken und vor allem die starken staatlichen Stützungen deuten darauf hin, dass die Finanzwelt stark geschockt ist und die Folgen ernst sein werden. Die Produktion wird schrumpfen, die Arbeitslosigkeit steigen und damit wird eine neue Krise auf uns zukommen, die meiner Meinung nach die Fundamente der Europäischen Union selbst stark erschüttern wird. Die Europäische Verfassung ist gescheitert und der Vertrag von Lissabon ist seinerseits auch auf Ablehnung gestoßen. Es herrschen Meinungsverschiedenheiten unter den EU-Ländern. Die Krisenerscheinungen schüren nur die Spaltungsprozesse. Brüssel fasst zwar Entscheidungen – diese müssen aber in jedem einzelnen Land bestätigt und umgesetzt werden. Es ist auch kaum zu erwarten, dass die EU ein sicheres Modell zur Krisenbewältigung erstellen kann. Und dennoch denke ich, dass uns die Krise in Bulgarien weniger treffen wird, denn für gewöhnlich haben die ärmeren Menschen weniger zu verlieren.“ So die Ansichten von Wesselin Feslijski. Die nächste zufällige Passantin, die wir nach ihrer Meinung befragten, ist eine 45jährige Diplom-Wirtschaftlerin. Sie sieht das Familienbudget gefährdet, ganz einfach weil es an entsprechenden Ersparnissen fehle. Ob die EU-Maßnahmen Bulgarien helfen werden, die Krise weniger zu spüren, kann sie nicht einschätzen. Wie fühlt sie sich?
„Bislang fühle ich mich noch sicher, denn noch spürt man nicht, was los ist“, sagt Borjana Dimitrowa. „Man hat bis jetzt betont, dass uns die Krise weniger treffen wird; ich denke aber, dass sie nicht an uns vorbeigeht. Es wird Kürzungen geben, viele Unternehmen werden pleite gehen. Vor allen das Bauwesen wird einen Rückgang erleben, ganz einfach weil die Nachfrage nach Immobilien sinken wird.“
Rossitza Zenkowa, eine 38jährige Friseuse, meint, dass die Krise nicht ernsthaft in Bulgarien wüten werde, da das Land in den letzten Jahren so schon krisengeschüttelt ist. Noch dazu sei Bulgarien ein kleines Land ohne große Industrie und umfangreiche Produktion.
„Es fällt mir stark auf, dass in allen Medien immer wieder gesagt wird, dass uns die Krise im kommenden März überrollen werde – eine Katastrophe für jeden Haushalt... Ich denke, dass man die Sache künstlich aufbauscht und das behindert die Menschen, normal und ruhig zu leben und zu arbeiten“, entrüstet sich Rossitza Zenkowa. „Ich persönlich bin weder gelassen noch bin ich beängstigt von der Krise, oder den Maßnahmen, die die EU trifft. Bulgarien ist ein kleines Land und immer waren wir von irgend jemanden oder irgendwas abhängig. Ich habe erfahren, dass die Menschen in den großen EU-Ländern bereits bei weitem stärken betroffen sind – viele werden entlassen, bleiben ohne Arbeit und Einkommen. Ich als Friseuse kann in meinem Beruf nicht über einen Rückgang der Kundenzahl klagen. Die Preise sind nicht hoch und einen Haarschnitt kann sich jeder leisten.“
Telephonisch haben wir uns mit Graham Watson in Verbindung gesetzt. Er ist britischer Europapolitiker und seit 2004 Vorsitzender der neu gebildeten Fraktion der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa. Wir fragten ihn, ob die EU zureichend flexibel ist, um in solchen kritischen Situationen, wie der jetzigen globalen Finanzkrise, fertig zu werden?
„Nach dem G-20-Treffen und den Treffen innerhalb der Europäischen Union befinden wir uns in einer bei weitem besseren Lage, um den Herausforderungen der globalen Finanzkrise zu begegnen“, meint Graham Watson. „Keiner kann natürlich sagen, wie lang und tiefgreifend die Rezession sein wird. Wir haben aber die Leitung unserer Wirtschaftspolitik eingehend analysiert und sind zu der Schlussfolgerung gelangt, dass eine gewisse Flexibilität notwendig ist, was die Umsetzung unserer Kriterien anbelangt. Gleichzeitig damit sind wir der Ansicht, dass wir uns an die Lissabonner Strategie über das Wirtschaftswachstum halten müssen, wenn wir Erfolg haben wollen. Während einige Länder der Europäischen Union bereits in der Rezession stecken, haben wir zu unserer Freude feststellen müssen, dass andere Länder, wie Bulgarien und Rumänien weiterhin ein stabiles Wirtschaftswachstum verzeichnen“, sagt der britische Europapolitiker.
Wie will die Europäische Union der Wirtschaftskrise begegnen und welche Maßnahmen sind in dieser Richtung vorgesehen?
„Die Liberaldemokraten sprachen sich für die Einrichtung eines europäischen Finanzorgans aus, das eine Art Aufsichtsbehörde darstellen und die Tätigkeit der Banken und der anderen Finanzanstalten koordinieren kann. Leider haben wir zu dieser Frage keine Einigkeit erzielt, werden aber die Idee weiter diskutieren, denn nur mit Transparenz und richtigen Einschätzungen auf den Finanzmärkten können einige Unzulänglichkeiten vermieden werden“, versichert Graham Watson.
Inwieweit können die Bürger den Institutionen vertrauen, die sie vor der Finanzkrise schützen wollen?
„Nun, die wohl wichtigste Lehre aus der jetzigen Finanzkrise ist die, dass wir versuchen müssen, sie gemeinsam zu bewältigen, wenn wir überleben wollen“, antwortet der Fraktionsvorsitzende der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa. „Sobald jeder versucht, allein mit der Krise fertig zu werden, selbständig verschiedene Maßnahmen trifft und Politik betreibt, werden wir ohne Zweifel alle zusammen untergehen. Der große Vorteil der EU-Mitgliedschaft besteht gerade in der Solidarität in schweren Zeiten.“
Sind wir nun Zeugen des Endes des Kapitalismus und des Entstehens einer neuen Wirtschaftsordnung?
„Ich denke nicht, dass wir Zeugen des Endes des Kapitalismus sind, hoffe aber, dass wir Zeugen einer Rezession sind, die eine größere Aufmerksamkeit gegenüber der Qualität und Intensität des Wirtschaftswachstums zeugen wird“, meint der britische Europaabgeordnete Watson. „In den kommenden 20 Jahren wird sich das Bruttoinlandsprodukt in der Welt voraussichtlich verdoppeln und das trotz der jetzigen Krise. Sobald das Wirtschaftswachstum aber vor allem auf der Nutzung der begrenzten Naturressourcen beruhen und der Umwelt kein Rechnung tragen sollte, wird es der Menschheit derart schaden, wie es heute einigen wenigen Wohlstand bringt. Das, was wir jetzt tun müssen ist, ein vernünftiges und intelligentes Wachstum zu erreichen, das nachhaltig ist und auf der sogenannten „grünen Wirtschaft“ fußt“, empfiehlt Graham Watson, britischer Europapolitiker und Vorsitzender der Fraktion der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa.
Damit geht die heutige Sendung zu Ende, liebe Hörerinnen und Hörer. Die Beiträge zum Projekt „Heute – Partnerschaft mit dem Europaparlament“ des Europäischen Instituts werden von Radio Bulgarien, RFI Rumänien und Yvelines Radio Frankreich ausgestrahlt. Finanziell gestützt wird das Projekt von der Generaldirektion „Kommunikation“ des Europäischen Parlaments.
Ihre Fragen und Meinungen können sie uns Mailen – unsere Adresse lautet: info@europe.bg Nähere Informationen erhalten sie auch auf folgender Seite: http://parliament.europe.bg
Autoren: Tanja Harisanowa, Maja Pelowska und Weneta Nikolowa
Übersetzung: Wladimir Wladimirow