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European Parliament / Analyses

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22-06-2008

Nach der Abstimmung in Irland - Was nun, Europa?

Aus Anlass des Europäischen Rates, dem Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Länder am Donnerstag und Freitag in Brüssel, hat Europaparlamentspräsident Hans-Gert Pöttering in einem Gastbeitrag für Medien in einer Vielzahl von Ländern dargelegt, wie es nach dem irischen Referendum weitergehen sollte und warum die im Vertrag vorgesehen Reformen noch vor der nächsten Europawahl im Juni 2009 umgesetzt werden sollten.
Am 12. Juni 2008 haben die irischen Bürgerinnen und Bürger zum Vertrag von Lissabon überwiegend Nein gesagt. Zunächst kommt es darauf an, die Motive der Wähler zu erforschen. Was hat die Iren - die wie kaum ein anderes Land von der Mitgliedschaft in der Europäischen Union profitiert haben - veranlasst, so abzustimmen?
 
Auf den ersten Blick zeigt das Abstimmungsverhalten ein widersprüchliches Gesamtbild: So haben einige Geschäftsleute für ein Nein geworben, weil sie wirtschaftliche Freiheiten gefährdet sahen; andere, wie Teile der Gewerkschaften, weil ihnen der Vertrag nicht sozial genug erschien. Wieder andere glaubten sogar, dass die Abtreibung durch den Vertrag erleichtert oder das irische Steuersystem in Frage gestellt würde.
 
Wie General de Gaulle einmal gesagt hat, werden bei einem Referendum Antworten auf Fragen, gegeben, die nicht gestellt wurden. Soweit möchte ich nicht gehen, aber in dieser Feststellung ist ein Kern Wahrheit. Was die Iren aber wirklich bewegt hat, warum sie der Europäischen Union nicht zugetraut haben, mit diesem Vertrag auf dem richtigen Weg in die Zukunft zu sein, das muss erst noch herausgefunden werden.
 
Gewiss ist, dass das Ergebnis dieser Abstimmung die Europäische Union vor eine ihrer größten Herausforderungen stellt.
 
Reformvertrag für mehr Handlungsfähigkeit und Bürgerbeteiligung
 
Der Reformvertrag von Lissabon ist eine Errungenschaft, die wir jetzt nicht aus der Hand geben dürfen. Denn die Vorteile gegenüber dem Vertrag von Nizza sind nicht zu leugnen: Dieser Vertrag bringt der Europäischen Union mehr Demokratie, mehr Handlungsfähigkeit, mehr Transparenz. Er stärkt das Europäische Parlament und gibt zugleich den nationalen Parlamenten mehr Verantwortung bei der Gestaltung der Europapolitik.
 
Lissabon ermöglicht Initiativen der Bürgerinnen und Bürger gegenüber den europäischen Institutionen, auch das macht die Demokratie in der Europäischen Union lebendiger.
 
Mehr Europa bedeutet nicht weniger Entscheidungsspielraum auf der lokalen Ebene, im Gegenteil: Der Vertrag von Lissabon gewährleistet die kommunale Selbstverwaltung. Er ist die Antwort auf die von Bürgerinnen und Bürgern zu Recht kritisierten Defizite der Europäischen Union. Dieser Vertrag bringt die Europäische Union näher zu ihren Bürgern.
 
Wir dürfen keinen Zweifel daran lassen, dass die Verwirklichung des Reformvertrages eine absolute Notwendigkeit ist, damit die Europäische Union ihre Werte und Interessen im 21. Jahrhundert verteidigen kann. Ohne die durch den Vertrag von Lissabon ermöglichten Reformen ist der Beitritt weiterer Länder zur Europäischen Union kaum denkbar.
 
Ratifizierung fortsetzen und Reformen bis Juni 2009 umsetzen
 
Ich fordere im Namen des Europäischen Parlaments die Staats- und Regierungschefs, die sich jetzt zum EU-Gipfel in Brüssel treffen, auf, alle geeigneten Schritte zu unternehmen, um den Reformvertrag zu verwirklichen.
 
Wie soll es jetzt weitergehen? Zunächst muss der Ratifizierungsprozess uneingeschränkt fortgeführt werden, denn 18 Länder haben den Vertrag bereits ratifiziert. Die parlamentarische Zustimmung in den anderen Ländern gilt genauso viel und muss genauso respektiert werden wie die Abstimmung in Irland.
 
Bei dem EU-Gipfeltreffen in Brüssel erwarten wir, dass die irische Regierung eine erste Analyse des Abstimmungsergebnisses vorlegt und Vorschläge unterbreitet, wie wir gemeinsam diese schwierige Phase europäischer Politik überwinden können.
 
Die irische Regierung - das entspricht nicht nur protokollarischer Gepflogenheit, sondern dies gebührt auch der Respekt vor dem irischen Votum - muss das erste Wort in dieser Frage haben. Deswegen sind alle Spekulationen und Hypothesen über Lösungsmöglichkeiten vor dem Gipfeltreffen unangebracht.
 
Das Europäische Parlament wird sich mit aller Kraft und großem Engagement für die Bewältigung dieser Herausforderungen einsetzen. Wir erwarten dieses auch von der Europäischen Kommission und von allen 27 Regierungen.
 
Wir erwarten ebenso, dass das Europäische Parlament umfassend in die Arbeiten einbezogen wird. Unser Ziel bleibt es, den Vertrag von Lissabon bis zu den Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni 2009 in Kraft zu setzen.

Hans-Gert Pöttering


 
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