Zapatero will mehr Europa wagen
Die Hohepriesterin der spanischen Sozialistischen Partei hat für das neue Jahr ein „historisches Ereignis“ von geradezu „planetarischer“ Bedeutung vorausgesagt. Leire Pajín, Organisationssekretärin der PSOE, sah bei einem Blick in ihre politische Kristallkugel ein kosmisches Zusammentreffen „zweier fortschrittlicher Führungskräfte auf beiden Seiten des Atlantiks“: Drüben die fortdauernd wohltuende Präsidentschaft Barack Obamas und hüben die Übernahme der rotierenden EU-Ratspräsidentschaft durch Spanien und dessen Ministerpräsidenten José Luis Rodríguez Zapatero. Der spanische Außenminister Moratinos hielt es dann zum Stichtag am 1. Januar eine Nummer kleiner, indem er versicherte, sein Chef und er würden ihre Aufgaben an der Spitze der Union „mit Demut und Bescheidenheit“ verrichten.
Zum Beweis beteuerte auch Zapatero, dass Madrid nicht daran denke, dem neuen EU-Führungsduo Herman van Rompuy und Catherine Ashton das Rampenlicht streitig zu machen. Im Gegenteil: Die Spanier wollen nach dem Inkrafttreten des Lissabonner Vertrags sogleich einen protokollarischen Präzedenzfall schaffen und den ständigen Präsidenten aus Belgien auch ständig präsidieren lassen.
Wie sich doch die Zeiten geändert haben, seit der stets auf die Innenpolitik konzentrierte damalige Oppositionsführer sitzen blieb, als auf einer Madrider Militärparade die amerikanische Fahne an ihm vorbeizog. Es folgten nach seinem Wahlsieg 2004 (er hatte 2000 den Vorsitz der Sozialistischen Partei errungen) fünf Jahre der absichtsvollen Nichtzurkenntnisnahme im Weißen Haus, weil der Hausherr George W. Bush dem spanischen Regierungschef den abrupten Abzug der spanischen Soldaten aus dem Irak nicht verzieh. Erst mit Obama kam die erste Einladung. Nun hofft der Spanier, der als Gastgeschenk gerade eine Erhöhung des Truppenkontingents in Afghanistan ankündigte, so sehr zu Obamas Liebling zu werden, wie sein Vorgänger Aznar dies bei Bush gewesen war.
Der unvermittelte internationale Ehrgeiz des 1960 in Valladolid geborenen Zapatero in seiner zweiten Amtsperiode fällt mit einer schweren Wirtschaftskrise daheim und dem entsprechendem Niedergang seiner Popularität zusammen. Sein Motto für die sechs Monate des EU-Postens, nämlich „mehr Europa“, ist daher auch eine Flucht nach vorn. Die Themen Abbau der Arbeitslosigkeit (sie beträgt 20 Prozent), Wachstum (noch negativ) und Staatsdefizit (10 Prozent) will er in einen europäischen Rahmen einbetten. Das Gleiche soll für die Nachbereitung von Kopenhagen (Klimawandel), Sicherheitsfragen (Terrorismus, Immigration, Piraterie) gelten. Schließlich steht noch ein ganzer Strauß profilierungsfähiger EU-Gipfeltreffen auf der Tagesordnung: mit Obama, Russland, Japan, Marokko, der Mittelmeerunion, Lateinamerika, dem Maghreb. Und sogar auf einem heimischen Feld will der diskrete Büroraucher für alle EU-Gäste sichtbar Führungskraft vorführen: bei der Verschärfung des löchrigen Rauchverbots in Spanien.